Bettina Szrama im Interview

2. März 2018
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Szrama, Der Henker von Lemgo und Das Mirakel von Köln 1„Das Zeitalter der Hexenverfolgung hat etwas Faszinierendes für mich“

Ein Gespräch mit Bettina Szrama über tiefgehende Recherche, künstlerische Freiheit und ihre historischen Romane DER HENKER VON LEMGO und DAS MIRAKEL VON KÖLN.

Sie erzählen DER HENKER VON LEMGO und DAS MIRAKEL VON KÖLN von den Grausamkeiten der Hexenverfolgung. Was reizt Sie an diesem Thema?

Bettina Szrama: „Ich wandere gern in alten, längst vergangenen Zeiten. Mich interessiert, wie die Menschen vor uns gelebt haben, wie sie fühlten, dachten und was sie zu Grausamkeiten trieb – ob der Mensch von Natur aus böse ist oder ob die Gesellschaft die Verantwortung trägt. Was bietet sich da besser an als das Zeitalter der Hexenverfolgung? Obwohl ich durch Zufall in dieses Thema hineingestolpert bin, fasziniert es mich bereits seit dem Beginn meiner Autorentätigkeit im historischen Genre. Mein Erstling, DER HENKER VON LEMGO, belegt anschaulich, zu was Menschen für Macht, Religion und Reichtum fähig sind. Andererseits gab es und wird es immer wieder Menschen geben, welche grausamsten Torturen trotzten oder im Familienzusammenhalt erfolgreich dagegen ankämpfen. Solche Schicksale faszinieren mich.“

Szrama, Der Henker von Lemgo und Das Mirakel von Köln 2Wie sind Sie auf die Lebensgeschichte der realen Figur Maria Rampendahl aufmerksam geworden, die im Mittelpunkt von DER HENKER VON LEMGO steht?

Bettina Szrama: „Bei einem Bummel durch das schöne Städtchen Lemgo kam ich in der Papenstraße an einem reich verzierten Fachwerkhaus vorbei. Schon allein der Giebel war eine Pracht und die reichlichen Goldverzierungen blitzten nur so in der Sonne. Ein kleines Schild wies aus, dass dort im 17. Jahrhundert der Henker von Lemgo, David Claussen, gelebt hatte, als Geschenk des damals regierenden lippischen Grafen Adolf. Sofort arbeitete es in mir. Ein Henker lebte in einem solchen Schmuckstück? Nach meinen geschichtlichen Kenntnissen lebten Henker der damaligen Zeit oftmals isoliert von den Bürgern an der Stadtmauer. Anstatt Eis essen zu gehen, wie ich es vorhatte, wollte ich unbedingt wissen, wie ein Henker zu einem solchen Reichtum kommen konnte. In einem Archiv wurde ich fündig: Ein Aufsatz über David Claussen – und ein Stapel mit zweihundert Hexenprozessakten über die letzte Hexe Lemgos, Maria Rampendahl. Meine Neugier fand nun ein weiteres Ziel und ich begann, über diese tapfere Frau in einem düsteren Zeitalter, ihre Familie und deren Verbindung zu dem einzigartigen Henker zu recherchieren.“

Szrama-Der-Henker-von-Lemgo_631x1000pxMan merkt, wie gründlich DER HENKER VON LEMGO recherchiert wurde, Sie nehmen sich aber auch Freiheiten, was das Liebesleben der historisch verbürgten Maria angeht. Warum?

Bettina Szrama: „DER HENKER VON LEMGO, der ursprünglich den Titel DIE KLEINE HEXE trug, gewann 2005 auf internationaler Ebene einen Preis. Das zog Verlage und Agenturen an. Da die Geschichte sich ursprünglich auf meine Protagonistin Maria Rampendahl konzentrierte und eher zum Sachbuch tendierte, schlug mir ein Verleger vor, noch etwas einzubinden, um die Geschichte romanhafter zu gestalten. Das habe ich dann getan. Einem Gerichtsprotokoll von 1684 konnte ich entnehmen, dass der Henker von Lemgo, David Claussen, sich mit Maria nach der Folter unterhielt und ihre Wunden pflegte. Daraus entwickelte ich eine rührende Liebesgeschichte, wie es sie, vor dem wahren und grausamen Hintergrund dieser Zeit, vielleicht hätte geben können.“

Bedeutet dies, dass Sie weitere historischen Fakten verändert haben?

Bettina Szrama: „Ich habe so wenig wie möglich Tatsachen verändert, sondern sie mit der Handlung vermischt. Allerdings musste ich viele spannende Aspekte herausnehmen, um den Lesefluss voranzutreiben. So zum Beispiel das Urteil des Hermann Beschoren, des zum Tode verurteilten Lehrers der Maria Rampendahl. Das bedauere ich bis heute.“

Sie erwähnten gerade, dass Sie in Lemgo ein Archiv aufgesucht haben. Wie haben Sie darüber hinaus für Ihre beiden Romane DER HENKER VON LEMGO und DAS MIRAKEL VON KÖLN recherchiert?

Bettina Szrama: „Tatsächlich überwiegend in Landesarchiven vor Ort und an Originalschauplätzen, dazu über Fernleihe und natürlich im Internet. Gäbe es das nicht, wäre vieles nicht möglich. Aber allein die Akten über damaligen Geschehnisse reichen nicht für eine gute Geschichte: Die wirkliche Kleinarbeit umfasst Recherchen über die Kleidung, Ernährung, Wetterverhältnisse, Feiertage, Traditionen, landschaftliche Gegebenheiten, Steuern, kriegerische Zwistigkeiten, Bauvorhaben und vieles mehr. Ich musste regelrecht jeden Stein Lemgos untersuchen und das alte Köln wie meine Westentasche kenne.“

Szrama, Der Henker von Lemgo und Das Mirakel von Köln 3DAS MIRAKEL VON KÖLN schildert ebenfalls einen authentischen Fall aus dem Wahnsinn der Hexenverfolgung – bis hin zum tragischen Ende. Hat es Sie nicht gereizt, stärker von den historischen Fakten abzuweichen, um die Nerven Ihrer Leser zu schonen?

Bettina Szrama: „Nein. Ich richte mich in erster Linie nach meinen Recherchen und möchte die Zeit, in der meine Geschichte spielt, so wahrheitsgetreu als möglich wiedergeben, auch wenn es sehr viel Arbeit bedeutet und mich – gerade im Fall von DAS MIRAKEL VON KÖLN – emotional an meine Grenzen brachte. Aber das Zeitalter der Hexenverfolgungen hat gerade als düstere, grausame Zeit etwas Faszinierendes für mich. Warum soll ich das beschönigen? Es gibt viele Romanautoren, die unterhaltsam darüber hinwegschreiben. Aber ich denke, ein Schriftsteller sollte auch aufklärend wirken.“

DAS MIRAKEL VON KÖLN liest sich immer wieder wie ein Krimi – hat sich das damals tatsächlich so ereignet?

Bettina Szrama: „Ja und Nein. Natürlich wollte ich mich auch in dieser Geschichte, so gut es mir möglich war, an die Wahrheit halten. Allerdings gibt es zu der tragischen Figur der Christina Plum wenig Überliefertes, da der größte Teil ihrer Prozessakten mit ihr zusammen auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Zudem war zum Zeitpunkt meiner Recherchen das alte Archiv von Köln sprichwörtlich im Erdboden versunken. Ich musste mich also vorrangig an andere berühmte Persönlichkeiten dieser Zeit halten, die in diesem einzigartigen Prozess eine Rolle gespielt haben. Hier ist die Nonne Sophia Agnes von Langenberg zu nennen, in deren Leben es Verbindungen zu Christina Plum gab. Für diese Geschichte bin ich tief in das damals sehr religiöse Köln abgetaucht. Zudem musste ich einen Tatablauf konstruieren, der plausibel macht, warum sich eine vierundzwanzigjährige Frau der Hexerei bezichtigt, in dem Wissen, dafür grausam zu sterben. Natürlich alles vor der Kulisse der Kölner Reformationsgeschichte zur damaligen Zeit, um 1626. Also habe ich nach passenden Zusammenhängen gesucht – und sie tatsächlich gefunden.“

Szrama-Das-Mirakel-von-Koeln-631x1000pxHistorische Romane sind oft auch ein Spiegel der Gegenwart. Nun sind die Zeiten der Hexenverfolgung zum Glück längst vorbei – sehen Sie trotzdem Parallelelen zwischen den vergangenen Zeiten, über die Sie schreiben, und unsere Gegenwart?

Bettina Szrama: „Oh ja, ich denke, es gibt Parallelen. Ein Nährboden für die Grausamkeiten im Hexenzeitalter waren die wachsende Besiedlung der Städte, Eroberungskriege, verheerende Unwetter – damals noch mit der Unwissenheit über deren natürliche Ursachen. Kommt uns das nicht in Teilen bekannt vor? Heute gibt es immer noch Kriege, eine wachsende Spaltung von Arm und Reich und Städte, die regelrecht explodieren, mit sozialen Brennpunkten, in denen die Kriminalität zum Alltag gehört. Und auch in einem aufgeklärten Zeitalter wie dem unserem suchen Menschen sich für ihre Angst vor dem Bösen ein Ventil in der Religion. Und das kann schlimme Folgen haben.“

Sie sehen aber nicht die Gefahr neuer Hexenfeuer?

Bettina Szrama: „Natürlich sind alleinstehende Frauen, ob alleinerziehend oder alt, nicht wie damals der Gefahr des Hexenfeuers ausgesetzt, werden dafür aber immer noch gesellschaftlich diskriminiert. Ein historischer Roman erzählt daher nicht nur davon, wie etwas früher war, sondern warnt auch davor, wie es nie wieder werden soll.“

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