Viola Alvarez über „Die Zunftmeisterin“

28. Juni 2017
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Viola_Alvarez (c) Michael Ippendorf, Lichtblick.

Viola_Alvarez (c) Michael Ippendorf, Lichtblick.

„Ich stellte mir die „Zunftmeisterin“ als eine unangefochtene, beeindruckende Frau vor“

Unsere Autorin Viola Alvarez über das Autorendasein, eine hoffnungsvolle Geschichte in dunklen Zeiten und ihren historischen Roman DIE ZUNFTMEISTERIN:

 

Ich wünsche mir seit jeher, ich wäre nur Autorin. Eine Vollzeit-Autorin. Jemand, der Zeit hat, nur zum Schreiben. Ich stelle mir das nach wie vor sehr entspannt-glamourös vor.
Ungefähr so: Ich würde morgens an den Schreibtisch gehen und Korrespondenz mit anderen – wohlwollend unterstützenden – Autoren oder Lesern pflegen. Natürlich wären die anderen Autoren alle freundlich interessiert am Fortschritt meiner Werke – und ich an den ihren.

Es wäre alles ein bisschen wie in einem heiteren Roman über eine Schriftstellerin. Also, so denke ich mir das eben. Und dann nach einer Zeit der gepflegten Korrespondenz würde ich einen Gedichtband zu Hand nehmen, mich inspirieren lassen von den Worten großer Geister – und dann mein Manuskript in Ruhe fortsetzen. Wäre ich dann an einem Punkt angelangt, an dem ich dächte, ich bräuchte eine Pause, stünde ich auf, flanierte durch den Garten, hielte am Lavendel inne und eilte, bis ins Mark neu inspiriert wieder an den Schreibtisch zurück. Schön, oder?

Alvarez, Die Zunftmeisterin 1Aber so ist das leider nicht.
Ich schreibe am Wochenende, oder in den Ferien. Am Wochenende habe ich genau vier Stunden – zwei samstags, zwei sonntags – Zeit dazu. In den Ferien ist es etwas flexibler. In den Einheiten von zwei Stunden produziere ich etwa sieben bis zehn Seiten. Ich sitze dabei am Schreibtisch und tippe an einem Notebook. Den Lavendel, den gibt es zwar wirklich, aber ich muss mich schon sehr dran erinnern, mal rauszuflanieren, und ihm einen Besuch abzustatten. Meistens muss er dann gegossen oder sonst wie beachtet werden, und ich bekomme dem Gesamtgarten gegenüber ein sehr schlechtes Gewissen, weil wir uns so selten sehen.

Auch wenn ich gerne nur Autorin wäre – ich bin es nicht. Und so muss das Schreiben in mein übriges Leben hineinpassen. Damit bin ich nicht immer wirklich zufrieden.
Es gibt parallel zum Roman, den ich gerade schreibe, stets ein paar Ideen, die im Hinterkopf köcheln. Viele kommen innerhalb von Sekunden und sind erstaunlicherweise ziemlich „fertig“ da. Nur das Aufschreiben dauert eben so seine Zeit. Und das ist dann nicht glamourös-entspannt, sondern oft auch anstrengend und ermüdend.

DIE ZUNFTMEISTERIN ist da vielleicht sogar atypisch, weil es hier erstaunlicherweise einen recht langen Prozess gegeben hat, bis ich mich dem Stoff wirklich entschlossen zugewendet habe. Das hat hauptsächlich etwas mit dem historischen Hintergrund zu tun, vor dem mir gegraust hat.

Alvarez, Die Zunftmeisterin 2Die Initialidee kam jedoch genauso plötzlich wie andere auch: Ich entdeckte in Osnabrück die Grabplatte einer Frau, die, so stand es dort zu lesen, erst sehr spät – etwa mit 35 Jahren – geheiratet hatte und dann im Jahr darauf bereits verstorben war. Mich beschäftigte das mögliche Motiv für diese späte Hochzeit sehr. Und ich fragte mich, wie es wohl wäre, für einen Roman eine Heldin zu wählen, die nicht blutjung wäre.

In der weiteren Beschäftigung mit dieser Idee kamen dann andere Fragestellungen hinzu: Was wenn nicht „Umstände“, wie der Tod eines Vaters oder Bruders diese Frau in eine machtvolle Position gebracht hätten, sondern was, wenn sie selbst aus sich heraus Machtwillen gehabt hätte? Dies in einer Zeit, in der Frauen sozial, juristisch etc. keine Macht zustand.
Es sollte aber keine Hosenrolle werden, sondern ich stellte es mir interessant vor, dass diese Frau – wiewohl sie sich in einer Männerwelt bewegte – auch den zeittypischen Werdegang einer Frau hätte, also dass sie verheiratet (gewesen) wäre und Kinder hätte. Und natürlich hätte diese Macht – wie heute auch noch – einen seelischen Preis.

Ich stellte mir also die „Zunftmeisterin“ als eine unangefochtene, beeindruckende Frau vor, die einen hohen Kontrollwillen hätte, die sich in einem so stabilen System bewegte, wie sie es nur herstellen konnte. Und die dann aus diesem System herausgeschleudert wurde:
Durch die Intrigen der anderen Handelspartner – als auch durch die Begegnung mit einem Mann.

Vinzent sollte kein „love interest“ als Mittel zum Zweck sein, sondern ein männlicher Widerpart. Auch er hat es geschafft, trotz seiner Herkunft ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen. Und so wie Antonia sich auf ihren Geist und ihr System verlässt, verlässt er sich auf seine Kraft und seine Voraussicht. Und beide verlieren genau diese selbsterwählten Bestimmungsfaktoren. Das fand ich faszinierend.

Alvarez, Die Zunftmeisterin 3Ich wollte mir Vinzent außerdem gerne als einen innerlich gereiften Mann vorstellen, der nicht mehr mit dem „Lendenantrieb“ eines jungen Helden durch die Gegend hechtet, sondern der von sich selbst gezwungen wird, sich für seine Gefühle entscheiden zu müssen – und der stark genug ist, sich entscheiden zu können.
So wie Antonia auch.
Liebesgeschichten innerhalb einer Romanhandlung sind immer kompliziert, finde ich. Wenn der Leser sich damit nicht identifizieren kann, ist die ganze Handlung wacklig geworden – auch die, die nichts mit der Liebesgeschichte zu tun hat. Im Falle der ZUNFTMEISTERIN wollte ich eine reife Liebesgeschichte erzählen, und ich hoffe natürlich, dass sie dem Leser gefällt.

Wichtig war mir auch, aufgrund der schlimmen, und sich stetig verschlimmernden Zeiten im historischen Hintergrund, einen Gegenentwurf zu diesem Schrecken zu erschaffen. Die Freundschaften, die Vinzent und Antonia finden, mit denen sie überrascht werden, sollen ein solcher Gegenentwurf sein.
Nur zusammen, das ist meine tiefe Überzeugung und Erfahrung, können wir schlimme und schlimmste Zeiten überstehen. Diese „Freunde“ sind mir dann auch beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen. Es hat mir sehr Leid getan, dass nicht alle zusammen ein Happy End erleben konnten.

Wenn ich dann selbst, beim klar (dramaturgisch) überlegten Schreiben, so eine echte Wehmut oder Rührung empfinde, dann weiß ich wieder, dass ich trotzdem weiter schreiben will.
Trotz der wenigen Zeit. Trotz der vielen Arbeit, die in so einen Roman geht.
Schreiben – auch wenn das angesichts klarer Fiktion seltsam klingen mag – hält mich im Kontakt mit dem, was im wirklichen Leben wichtig ist.