»Bei meinen Recherchen haben mich besonders Einzelschicksale von Menschen aus der einfachen Bevölkerung interessiert und bewegt.«

28. Januar 2022
dotbooks

Ein Gespräch mit Simone Neumann über ihre Begeisterung für Geschichte, starke Frauenfiguren und ihre historischen Romane.

Liebe Simone Neumann, was reizt Sie am Genre der historischen Romane?

Simone Neumann: »Schon als kleines Kind hat mich alles brennend interessiert, was ›früher‹ war. Diese Faszination hat nie nachgelassen, weshalb ich auch Geschichte studiert habe. Der historische Roman bietet mir die Möglichkeit, Geschichte lebendig zu machen, indem ich einen wissenschaftlich recherchierten historischen Hintergrund mit einer spannenden Story fülle. Wenn ich historische Romane schreibe, habe ich das Gefühl, mich selbst auf Zeitreise zu begeben – umso mehr freue ich mich, wenn meine Leserinnen und Leser mir schreiben, dass sie diese Begeisterung zwischen den Zeilen gelesen haben.«

Lassen Sie uns über Ihre einzelnen Bücher sprechen. DES TEUFELS SANDUHR erzählt auf der einen Seite von einer mutigen Frau in der der Zeit des 30-jährigen Krieges – und begeistert gleichzeitig mit einer fesselnden Spannungsgeschichte über einen wahnsinnigen Mörder. Wie kam es dazu, dass Sie dies miteinander verwoben haben?

Simone Neumann: »Der 30-jährige Krieg ist eine außergewöhnlich düstere Epoche – es ist unvorstellbar, wie es für die betroffenen Menschen körperlich wie seelisch gewesen sein muss, drei Jahrzehnte lang von Krieg und all seinen schrecklichen Begleiterscheinungen umgeben zu sein. Bei meinen Recherchen haben mich besonders Einzelschicksale von Menschen aus der einfachen Bevölkerung interessiert und bewegt: So ist die Figur der Anna entstanden, eine junge Frau aus einem verwüsteten Bauerndorf, die von heute auf morgen nichts und niemanden mehr hat. Neben den Geschichten von Opfern gibt es aus dieser Zeit aber auch viele Berichte über Leute, die vom Krieg gelebt haben und somit abhängig von ihm waren. Dabei kam mir, da ich ein großer Krimifan bin, die Idee für Annas Gegenspieler: Der Mörder in meinem Roman ist kein Kriegsgewinnler im materiellen Sinn – er macht sich das Chaos des Krieges zu Nutze, um unbemerkt und unbestraft seinem tödlichen Drang nachzugehen. Wie lange er das kann? Nun, das verrate ich an dieser Stelle natürlich nicht …«

Im Mittelpunkt von DAS GEHEIMNIS DER GEWÜRZHÄNDLERIN stehen zwei Frauen, die titelgebende Margarethe und ihre Magd Johanna. Beide sind sehr unterschiedlich, müssen aber lernen, sich zu vertrauen. Was mögen Sie an diesen beiden Figuren?

Simone Neumann: »Beide Frauen sind Witwen und müssen sehen, wie sie nach dem Tod ihrer Ehemänner zurechtkommen in einer Gesellschaft, die alleinstehenden Frauen gegenüber alles andere als rücksichtsvoll war. Es gibt Berichte über starke und selbstbewusste Frauen aus der Zeit der Reformation, aber sie mussten härter als Männer kämpfen und größere Opfer bringen. Meine Figur der Gewürzhändlerin Margarethe ist überaus klug und selbstbewusst. Als reiche Kaufmannswitwe hat sie keine existenziellen Sorgen, doch sie muss hart und unnachgiebig sein, um als Geschäftsfrau die Anerkennung, Rechte und Möglichkeiten zu erhalten, die ihr als Mann selbstverständlich zugestanden hätten. Trotzdem ist sie nicht bereit, sich in eine weitere Ehe zwingen zu lassen, sie will ihre Eigenständigkeit bewahren und selbst über ihr Schicksal bestimmen. Johanna hat aufgrund ihrer sozialen Herkunft diese Möglichkeit als Witwe nicht. Nach dem Tod ihres Mannes geht es bei ihr tatsächlich ums Überleben. Ein Leben wie es Margarethe führt, ist für sie vollkommen fremd. Sie ist stiller, aber nicht weniger stark als Margarethe. Beide finden heraus, dass sie bei all ihren Unterschieden doch auch sehr viele Gemeinsamkeiten haben und werden so etwas wie Freundinnen. Müsste ich mich entscheiden, wer von beiden mir näher ist, würde ich sagen: Als ich den Roman geschrieben habe, war es Johanna, mittlerweile fasziniert mich Margarethe mehr.«

DIE FLUCHT DER GAUKLERIN handelt von Maja, einer jungen Frau, die sich auf der Flucht vor ihrem brutalen Vater einer Siedlertruppe anschließen muss, die auf dem Weg ins weit entfernte Mähren sind. Wie haben Sie für diesen Roman recherchiert?

Simone Neumann: »Alle meine Romane haben einen regionalen Bezug zu meiner westfälischen Heimat oder zu den Gegenden, aus denen meine Vorfahren stammten. Beim Schreiben bringt das den Vorteil, dass man die beschriebenen Orte mit all ihren Besonderheiten intensiver abrufen kann. Für die Flucht der Gauklerin habe ich die Geschichte der Familien meiner Eltern verbunden: Während meine Vorfahren mütterlicherseits westfälische Bauern waren, sind die Vorfahren meiner Großmutter väterlicherseits irgendwann im Mittelalter nach Schlesien ausgewandert. Das Thema der Ostsiedlung hat mich somit aus familiären Gründen sehr interessiert, sodass ich hierzu bereits einiges an wissenschaftlicher Literatur im Bücherschrank hatte, bevor mir die Idee zum Roman kam. In meine Recherche sind dann Regionalgeschichte, Sagen und Märchen aus den entsprechenden Gegenden sowie Dokumenten aus der eigenen Ahnenforschung eingeflossen, und aus all dem ist fast wie von selbst die Story um Maja und ihre Truppe erwachsen. Mir war es wichtig, das Leben auf so einer Reise, die Hoffnungen und Rückschläge so authentisch wie möglich zu schildern, denn das war damals mehr als nur ein Abenteuer – und fesselt uns heute beim Lesen umso mehr.«

In DIE SCHLÜSSELTRÄGERIN gerät ihre Heldin Inga in mehr als eine ausweglose Situation – hatten Sie zwischendurch auch einmal Mitleid mit der Armen?

Simone Neumann: »DIE SCHLÜSSELTRÄGERIN ist mein persönliches Lieblingskind unter meinen Romanen. Ich mag Inga unglaublich gern und die Tatsache, dass der Plot komplett in dem Ort angesiedelt ist, in dem ich mehr als 1000 Jahre später aufgewachsen bin, hat das Schreiben dieser Geschichte zu einer besonders intensiven und auch emotionalen Angelegenheit gemacht. Inga hat zu einer Zeit des kolossalen Wandels gelebt: Karl der Große hatte nach einem endlos langen Krieg den heidnischen Sachsen das Christentum gebracht – und damit nicht nur eine neue Religion, sondern auch neue politische, soziale und wirtschaftliche Strukturen. Es war ein kompletter Umbruch, in dem sich die Menschen befanden. Entsprechend groß war die allgemeine Verwirrung und die Sorge vor der Zukunft. Auch Inga bewegt sich als Kind dieser Zeit zwischen der alten und der neuen Welt, doch kommt bei ihr erschwerend ihr ganz persönliches Schicksal hinzu. Durch den Tod ihres Mannes hat sie als kinderlose Frau nach der altsächsisch-germanischen Tradition ihre Rechte verloren. Sie muss ihre Rolle als Schlüsselträgerin, die für den Haushalt verantwortlich ist, und ihre Privilegien an ihre Schwägerin abgeben und ist künftig ein lediglich geduldetes Mitglied der Familie. Durch ungünstige weitere Umstände gerät Inga immer tiefer in eine gefährliche Situation – sie wird zum Opfer von altväterlichen Traditionen und einer neuen christlichen Entwicklung, die längst nicht nur Liebe und Erlösung bringt. Ob ich Mitleid mit Inga hatte? Um ehrlich zu sein: Nein. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich mich zum einen zu weit von der historischen Realität entfernt … und zum anderen hätte ich meinen Leserinnen und Lesern keine spannende Geschichte bieten können, die auf verschiedenen Ebenen unter die Haut geht.«

Das Interview führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.

Simone Neumann, geboren 1977 in Höxter, lebt heute in München. Nach ihrem Studium der Geschichte und Slavistik arbeitete sie zunächst bei einem Verlag als Lektorin und machte sich nach der Geburt ihrer Kinder als Redakteurin und Autorin selbstständig.

Bei dotbooks erschienen Simone Neumanns fundiert recherchierten historischen Romane, die sie stets mit einer fesselnden Spannungsnote würzt: »Des Teufels Sanduhr«, »Das Geheimnis der Gewürzhändlerin« (ursprünglich unter dem Titel »Das Geheimnis der Magd« erfolgreich) und »Die Flucht der Gauklerin«.