Kirsten Rick über eine Vorweihnachtszeit im Sommer
Damit eine Weihnachtsgeschichte rechtzeitig vor Weihnachten erscheinen kann, muss sie im Sommer geschrieben werden. Die Handlung für „Ernas kleines Weihnachtswunder“ habe ich daher mit Freunden am Strand von Venedig besprochen. Was einerseits nicht der richtige Rahmen war und dann doch wieder ganz gut passte, denn die Mauern der Serenissima sind ähnlich marode wie die von Ernas Haus auf St. Pauli.
Bei „Ausgestochen“ war ich schlauer: In der Vorweihnachtszeit 2013 habe ich immer mal wieder gedacht: „Das wäre doch eine Idee für eine Geschichte!“ Als meine Kollegin erzählte, für den Adventsbasar in der Schule müssten sie die selbstgebackenen Plätzchen exakt 100-Gramm-weise abwiegen und verpacken. Als eine Freundin sagte, dass sie die Einzige sei, die mit Kauf-Kuchen zur Schulweihnachtsfeier kommt. Als die Nachbarin meinte: „Wenn mir noch eine Mutter ein Foto von ihrer selbstgebastelten Überfliegerweihnachtsbetonstylodeko zeigt, schlage ich ihr das Handy aus der Hand!“ Als die Kinder mit Terminzetteln für diverse Chor- und Theaterproben nach Hause kamen und komplizierte Kostümwünsche äußerten.
Ich notierte also: Plätzchen, Konkurrenz, Terminstress, absurde Anforderungen.
Als ich diese Notizen im Juli betrachtete, kamen sie mir sehr, sehr fremd und fern vor. Ich war mit der Familie auf dem Mainradweg unterwegs und hatte mir vorgenommen, abends im Zelt in ein Schulheft zu schreiben. Eine Seite habe ich geschafft – bei ungefähr 56°C Innentemperatur, wir nannten das Zelt auch „den Bratschlauch“. Ich fühlte mich selber wie ein Plätzchen auf dem Blech.
Der nächste Ansatz dann zuhause: Draußen regnete es immerhin und der Terminstress des Alltags schwoll an. Doch der Durchbruch kam erst, als meine jüngste Tochter fragte: „Mama, können wir heute Kekse backen?“ und ich überlegte, wann zum Teufel wir denn dafür Zeit haben sollten. Da war alles wieder da, die ganze Erinnerung an den Vorweihnachtswahnsinn. Zeitgleich füllten die Supermärkte ihre Sonderverkaufsflächen mit Lebkuchen und Dominosteinen. Ende August! Das hat mir den richtigen Schwung gegeben: Ich schrieb und schrieb – und ließ das Kind derweil alleine backen.
Durch die Arbeit an „Ausgestochen“ war für mich eins klar: Diesmal wollte ich eine ruhige Vorweihnachtszeit! Geholfen hat dieser Vorsatz, wie es jetzt aussieht, aber leider nicht: Montags ist Chorprobe für das Krippenspiel, am Dienstag Weihnachtsfeier in der Grundschule, am Mittwoch in der anderen Schule, donnerstags wird für das Weihnachtskonzert geprobt, die Ponyweihnachtsmärchenproben belegen sämtliche Wochenenden und die Kinder fragen nahezu minütlich, ob wir Plätzchen backen können … Vielleicht könnte man die Vorweihnachtszeit bis auf Ende Januar verlängern, das würde alles deutlich entzerren.
Aber manchmal gelingt es mir, in dem ganzen Trubel einen kleinen, besinnlichen Moment zu erhaschen. Eine Schneeflocke, die auf meine Nase fällt. Ein schokoverschmiertes Kinderlächeln. Eine Tasse Tee. Dann bin ich glücklich.