Mark Chisnell im Interview
„Es geht nicht um physische Gewalt“
Ein Gespräch mit Mark Chisnell über literarische Vorbilder, eine ganz eigene Art von Fairness und seine Thriller DER ÜBERLÄUFER und SCHIFFE VERSENKEN.
Lieber Mark Chisnell, was hat Sie zum Schreiben gebracht?
Mark Chisnell: „Ich habe schon als Kind sehr viel gelesen und Bücher geliebt. Die Idee, einmal selbst eins zu schreiben, war für mich damals das Coolste, was ich mir vorstellen konnte. Ich habe immer noch ein altes Schulheft, in das ich das erste Kapitel eines Romans gekritzelt habe.“
Was hat Sie dann zum Thriller-Genre geführt?
Mark Chisnell: „Thriller sind einfach das Genre, das ich am liebsten lese. Ich bin mit den Büchern von Ian Fleming, John Le Carré und Alistair MacLean aufgewachsen – also den bekannten britischen Thrillerautoren. Ich glaube, es ist vor allem die Mischung aus Action und Intrigen, die mich begeistert. Ich mag auch Krimis, aber nichts lässt mich so atemlos durch die Seiten eines Buches fliegen wie eine gut geschriebene Actionszene. Und genau das will ich heute auch meinen Lesern bieten.“
Die zentrale Figur in Ihren beiden Thrillern DER ÜBERLÄUFER und SCHIFFE VERSENKEN ist der undurchsichtige Janac, den man als Leser hasst, aber auch faszinierend findet. Was mögen Sie an dieser Figur?
Mark Chisnell: „Dazu muss man wissen, dass meine Arbeit an DER ÜBERLÄUFER tatsächlich mit den letzten Kapiteln begann. Ich will nicht zu viel verraten, aber mir war von Anfang an klar, wie die Geschichte enden würde, bevor ich wusste, was vorher passieren sollte. Für dieses Ende musste ich eine Figur erschaffen, die das alles möglich machen und tragen konnte – und das wurde Janac. Er ist kein Mann, den man mögen kann. Was ich an ihm schätze, ist seine ganz eigene Fairness. Egal, was er den Hauptfiguren meiner Thriller antut, er steht zu seinem Wort.“
Martin, die Hauptfigur in DER ÜBERLAUFER, scheint alles zu haben, was man sich wünschen kann – und verliert dann mehr, als er jemals für möglich gehalten hätte. Was hat Sie an dieser Idee gereizt?
Mark Chisnell: „Das hängt auch wieder mit dem Höhepunkt von DER ÜBERLÄUFER zusammen. Ich wusste, dass es da wirklich um etwas gehen müsste, um Leser zu fesseln. Also habe ich dafür gesorgt, dass Martin keine andere Wahl hat, als alles zu riskieren. Er kann nur gewinnen – aber eben auch verlieren.“
In Ihrem zweiten Thriller, SCHIFFE VERSENKEN, muss ein Mann ebenfalls alles aufs Spiel setzen. Allerdings geht es nicht um sein eigenes Leben, sondern das seiner Frau. Würden Sie es genauso machen wie Hamnet?
Mark Chisnell: „Das hoffe ich. Natürlich bilde ich mir ein, dass ich mutig genug wäre, aber so etwas weiß man doch immer erst dann, wenn man wirklich in die Situation gerät, oder? Es ist genau diese Frage in SCHIFFE VERSENKEN, die viele Leser – und mich selbst auch – fesselt: Was würde man tun, um die Liebe seines Lebens zu retten? Meine Frau und ich haben gerade unser zweites Kind bekommen, darum ist es im Moment eine besonders gefühlsgeladene Frage für mich.“
Auf der einen Seite sind Sie also liebender Familienvater, auf der anderen Seite schreiben Sie harte Thriller: Wie passt das zusammen?
Mark Chisnell: „In meinen Thrillern geht es nicht um physische Gewalt – obwohl sie Teil der Geschichten ist –, sondern es geht um psychische Gewalt. Janac genießt es, Menschen an ihre Grenzen zu treiben und sie zu brechen. Natürlich nimmt es mich mit, darüber zu schreiben, und ich weiß, dass meine Leser es genauso empfinden. Aber darum geht es bei einem guten Thriller: Er lässt uns Alltagssorgen vergessen und entführt uns in eine Welt, die nicht unsere eigene ist. Thriller bieten Eskapismus, weil sie nun einmal von anderen Dingen erzählen als denen, mit denen wir uns sonst herumschlagen müssen.
Gleichzeitig hoffe ich, dass manche Fragen, die ich in meinen Thrillern aufwerfe, im Kopf der Leser nachhallen, sie dazu bringen, nachzudenken: ‚Was hätte ich in dieser Situation getan?‘ Ein guter Thriller will unterhalten, er sollte uns aber auch zeigen, wie glücklich wir in unserem ganz normalen Leben sein können, mit unseren Freunden und den Menschen, die wir lieben. Wir alle werden wahrscheinlich nie in eine Situation kommen, die so hart ist wie diejenigen, in die Janac seine Opfern bringt. Aber es ist gut, daran erinnert zu werden, dass es – meistens jedenfalls – richtige und falsche Entscheidungen gibt.“