Viola Alvarez im Interview zu „Die Zunftmeisterin“

23. Juni 2017
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Viola Alvarez (c) Michael Ippendorf, Lichtblick

Viola Alvarez (c) M. Ippendorf, Lichtblick

„Ich wollte keine Frau beschreiben, die sich die ganze Zeit heimlich nur nach Liebe sehnt, sondern die den Deal ‚Macht gegen Selbst‘ akzeptiert hat“

Unsere Autorin Viola Alvarez über ein ungewöhnliches Frauenleben, unerwartete Begegnungen und ihren historischen Roman DIE ZUNFTMEISTERIN:

 

Liebe Frau Alvarez, was hat Sie dazu inspiriert, das Schicksal von Antonia Deeken, ihrer Heldin aus DIE ZUNFTMEISTERIN, zu erschaffen und erzählen?

Viola Alvarez: „Auch wenn man nicht sagen kann, dass Antonia ein „historisches Vorbild“ hätte, so gab es zumindest eine historische Inspiration. In der Osnabrücker Friedenskirche entdeckte ich vor Jahren bei einem Besuch die Grabplatte einer Frau aus dem 16. Jahrhundert, die in der Mitte ihrer dreijähriger Jahre bei der Geburt ihres ersten Kindes verstorben war, ein Jahr nach ihrer Hochzeit. Beide Daten erstaunten mich als ungewöhnlich spät für die damalige Zeit. Ich fragte mich, warum sie so spät geheiratet hatte. Warten auf Mr. Right? Kalkül? Mangel an Bewerbern? Geschäftliche Heiratspolitik? Damals entstand die Idee, über ein solches Frauenleben eine Geschichte zu schreiben.“

 

Alvarez, Die Zunftmeisterin 2Ihre Protagonistin in DIE ZUNFTMEISTERIN ist eine ungewöhnliche Heldin. Eine erfolgreiche und mächtige Frau zu einer Zeit, in der Männer alle Macht hatten. Noch dazu eine nicht mehr ganz junge. Wie kam es zu diesem außergewöhnlichen Charakter?

Viola Alvarez: „Nachdem die äußere Vorgabe des Alters quasi gesetzt war, stellte sich die Frage, was ein möglicher Lebensweg gewesen sein könnte. Die Frau aus Osnabrück war immerhin reich genug für eine Grabplatte gewesen. Ich wollte aber nicht über eine Erbin oder eine Jungfrau schreiben, sondern über eine Frau, die Erfahrung als Frau und Mutter hatte, und die gleichzeitig eine männliche Position besetzt. Dies nicht als voremanzipatorisches Exempel, sondern eine ‚mögliche‘ Geschichte. Eine machtvolle Frau in diesem Umfeld zu sein, war ich mir sicher, hätte einen persönlichen, einen seelischen Preis gehabt. Und dann wollte ich keine Frau beschreiben, die sich dabei die ganze Zeit heimlich nur nach Liebe sehnt, sondern die den Deal ‚Macht gegen Selbst‘ akzeptiert hat, um dann umso überraschter von der Begegnung mit einem Seelengefährten zu sein.“

 

Alvarez, Die Zunftmeisterin 3Gab es etwas, das Ihnen beim Schreiben von DIE ZUNFTMEISTERIN besonders gefallen hat oder eine ganz persönliche Lieblingsszene?

Viola Alvarez: „Was ich wunderschön fand, war, eine ‚reife‘ Liebesgeschichte zu erzählen. Zwei Menschen, die vom Leben genug oder auch zu viel mitbekommen haben, als dass sie sich etwas vormachen wollen. Es war für mich wichtig, dass beide mit dem Verlust dessen konfrontiert werden, worüber sie sich zuvor definiert haben: Antonia über ihre Macht und ihre Klugheit, Vinzent über seine Stärke und Voraussicht. Beide müssen diese Vorstellungen von sich loslassen – und finden dennoch Halt im anderen. Es erlaubt eine zutiefst intime Begegnung, finde ich.
Aber meine Lieblingsszene, unerwartet übrigens, war Bruder Norberts Gerichtsverhandlung. Ihr unterliegt eine reizende Komik und dennoch sehr viel Wärme und auch Tragik. So etwas gefällt mir immer sehr gut.“