»Das Kaffeekränzchen ist die Urform des Informationsaustauschs – da darf man nicht mit leeren Händen ankommen«
Ein Gespräch mit unserer Autorin Kirsten Rick über das Leben auf dem Land, kriminelle Energie und ihre beiden DORFGEFLÜSTER-Romane CHAOS HINTERM BLUMENBEET und GEHEIMIS HINTER HECKENROSEN.
Liebe Kirsten Rick, du hast zwei Romane über ein Dorf in Norddeutschland geschrieben, lange bevor viele andere Autorinnen und Autoren die Provinz für sich entdeckt haben. Was hat dich daran gereizt?
Kirsten Rick: »Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, im Speckgürtel einer großen Stadt, aber ohne vernünftige Bahnanbindung (wozu denn auch, es gab ja die Autobahn, was mir als Jugendlicher aber auch nicht weitergeholfen hat). Und wenn meine Biografie so verlaufen wäre wie in ca. 90 Prozent der Fälle meiner ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler, würde ich noch immer dort leben. Weil es so einfach wäre. Und weil es so schön da ist. Und weil es keinen vernünftigen Grund zu geben scheint, dort wegzuziehen. Außer für mich. Viele Jahre später hat mein kluger Lektor zu mir gesagt: ›Schreibe über etwas, das du liebst oder das du fürchtest.‹ Da ich mich schlecht entscheiden kann, habe ich einfach beides verbunden: Ich fürchte mich davor, keine eigenen Entscheidungen zu treffen, davor, dass über mich bestimmt wird – und ich liebe funktionierende Mikrokosmen. Das Dorf ist eine Art eigenes Ökosystem, das man innerlich immer mit sich herumträgt. Und das einen schützt. Meine Romane sind eigentlich Liebeserklärungen, die sich als Komödien tarnen.«
»Wie zündet man eigentlich ein Haus an?« – So beginnt dein Roman DORFGEFLÜSTER – CHAOS HINTERM BLUMENBEET, und deswegen muss die Frage erlaubt sein: Wieviel kriminelle Energie steckt in Dir?
Kirsten Rick: »Moment! Nur weil Silke, die Hauptfigur meines ersten Romans, ein leerstehendes Fertighaus anzündet, ist das noch lange kein Roman über Brandstiftung. Silke und ich haben nämlich eines gemeinsam: so gut wie null kriminelle Energie. Dafür jede Menge Rachefantasien, die ich persönlich allerdings nur aufschreibe. Vielleicht, weil sie mir nie im richtigen Moment einfallen?
Nein, Rache ist nur in der Fantasie – höchstens noch in TV-Serien – wirklich gut. Im wahren Leben sehen zerschnittene Anzüge, zerstochene Autoreifen und ähnliches nämlich höchst unspektakulär aus. Bei klaren Befreiungsschlägen – wie dieser sogenannten Brandstiftung, die Silke in DORFGEFLÜSTER: CHAOS HINTERM BLUMENBEET verübt (oder auch nicht) – liegt der Fall allerdings anders. Da kommen auch kleine Gesten ganz groß raus. Ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte, mit Schwung in die richtige Richtung geworfen … dafür wäre ich durchaus zu haben. Oder ist das jetzt schon wieder kriminell?«
Nach dem Erfolg deines ersten DORFGEFLÜSTER-Romans CHAOS HINTERM BLUMENBEET wäre es vermutlich ganz einfach gewesen, eine direkte Fortsetzung zu schreiben – aber in GEHEIMNIS HINTER HECKENROSEN widmest du dich anderen Dorfbewohnern, erzählst von verbotener Liebe und »Verlierern«, die eigentlich Helden sind. Was hat dich dazu inspiriert, ein so buntgemischtes Ensemble ins Chaos zu stürzen?
Kirsten Rick: »Das Leben auf dem Land hat so viele Facetten, davon kann man unmöglich nur mit einer Geschichte und einer Hauptfigur erzählen. Meine Romane sind frei erfunden, aber natürlich hat mich mein Heimatort – stellvertretend für viele andere Kleinstädte in Deutschland – inspiriert. Das Leben im Dorf hat viele Vorteile, es gibt aber auch Schattenseiten wie die sogenannten Discounfälle. Um bei den humorvollen Seiten zu bleiben: Putzpartys mag es auch in Großstädten geben, aber ich habe meine Mutter mal auf eine begleitet im Dorf, und das war ein großer Spaß, ich dann das nur empfehlen. In meinem Roman findet sich sogar eine wahre Dorflegende: Die Wette, in der ein Mann mit seinem Trecker über den zugefrorenen Dorfteich fährt und in der Mitte einbricht, gab es wirklich, alles andere habe ich mir natürlich ausgedacht. Der Rest ist inspiriert von Shakespeare, von David Sedaris – den man, nebenbei bemerkt, unbedingt lesen sollte! – und ein bisschen sogar von James Bond.«
Was ist schlimmer – die NSA, der BND oder ein paar Hausfrauen? Wenn man deinen Roman DORFGEFLÜSTER: GEHEIMNIS HINTER HECKENROSEN gelesen hat, ist man eher bei den Damen …
Kirsten Rick: »Die NSA, der BND und alle anderen Daten- und Informationssammler sind schon ziemlich übel. Aber alle absolut gar nichts im Vergleich zu einem Kaffeekränzchen, ob nun bei meinen erfundenen Landfrauen oder im wahren Leben.
Das meine ich höchst ernst: Das Kaffeekränzchen in Dörfer und Kleinstädten ist die Urform des Informationsaustauschs. Das ist die zentrale Börse. Natürlich darf man da nicht mit leeren Händen – also ohne Informationen – ankommen. Die Motivation ist dabei nur oberflächlich, dass man ein nettes Gesprächsthema haben möchte. Es geht schon ganz konkret darum, die Gesellschaft im Griff zu haben, auch wenn dieser Machtanspruch in der Regel zum Glück an der eigenen Dorfgrenze aufhört. Das mit der Technik, die bei NSA und BND zum Einsatz kommt – und nun eben auch in meinem Roman DORFGEFLÜSTER: GEHEIMNIS HINTER HECKENROSEN, ist dann nur noch Pipifax und ganz leicht zu bedienen.«
Du nimmst in deinen DORFGEFLÜSTER-Romanen das Leben in der Provinz aufs Korn – und doch hat man nie das Gefühl, dass du dich über deine Protagonisten lustig machst. War dir das wichtig oder nicht oder kam das einfach so und warum?
Kirsten Rick: »Menschen sind nie lächerlich. Sie mögen lustig sein oder merkwürdig, sie können komische Angewohnheiten haben oder seltsame Dinge tun – aber ihre Würde ist unantastbar. Und das gilt für meine Romanfiguren ebenso. Ich möchte Spaß MIT ihnen haben, nicht auf ihre Kosten. Und ich möchte ihnen jederzeit in die Augen sehen können, auch wenn ich dafür die Augen schließen muss.«
Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.
Kirsten Rick wurde 1969 in Hamburg geboren und wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe auf. Sie studierte Angewandte Kulturwissenschaften in Lüneburg und arbeitet seitdem, da sie laut eigener Aussage »nichts Vernünftiges gelernt hat«, als Redakteurin für verschiedene Zeitschriften und als freie Journalistin. Kirsten Rick lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Hamburg am Hafen.
Mehr Informationen über Kirsten Rick, Texte und Reportagen von ihr finden sich auf ihrer Website: www.romaneundreisen.de
Bei dotbooks veröffentlichte Kirsten Rick ihre Romane »Dorfgeflüster: Chaos hinterm Blumenbeet« – auch bekannt unter dem Titel »Schlüsselfertig« – und »Dorfgeflüster – Geheimnis hinter Heckenrosen« – auch bekannt unter dem Titel »Frischluftkur« – sowie ihre Kurzromane und Geschichtensammlungen »Maria räumt auf«, »Ausgestochen« und »Ernas kleines Weihnachtswunder«.