EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN von Viola Alvarez
vorgestellt von Ronja Beck, Lektorat
Ja, ich gestehe: Manchmal lasse ich mich in die Mode und den Stil vergangener Zeiten hineinfallen wie in Zuckerwatte. Zum Beispiel bei meinem Lieblings-Friseurladen im Rockabilly Style, oder auch, wenn ich mir bonbonfarbene Retro-Dosen fürs Küchenregal hole. Und gleichzeitig ist mir die Kehrseite der Medaille bewusst: Ich bin extrem froh, die Freiheit zu haben, mir nicht jeden Tag eine Grace-Kelly-Frisur föhnen zu müssen und wie die perfekt ausstaffierte 50-Jahre-Hausfrau mit Lippenstift und Petticoat den Kochlöffel zu schwingen. Wie enggefasst das Frauenbild in der damaligen Zeit tatsächlich war, hat mir Viola Alvarez‘ neuer Roman EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN wieder vor Augen geführt.
Darin lernen wir zunächst die Geschichtsstudentin Marie kennen, die sich auch vorbehaltlos für den 50er-Jahre-Look begeistert – bis sie in einer Illustrierten von damals auf einen Skandalprozess stößt, der sie nicht mehr loslässt. Mathilde S. wurde eines schrecklichen Verbrechens angeklagt und als schöne, eiskalte Frau von der Presse zerrissen. Doch Marie wird das Gefühl nicht los, dass an Mathilde ein Exempel statuiert werden sollte, weil sie eine unabhängige Frau war. Gemeinsam mit dem jungen Archivar Vassilij geht Marie auf Spurensuche – doch jemand scheint ein gefährliches Interesse daran zu haben, dass die Wahrheit auch nach so vielen Jahren nicht ans Licht kommt …
Währenddessen erleben wir, wie Mathilde in den 30ern in einer bloßen Zweckehe gefangen ist … und heimlich einen Mann liebt, den sie nicht lieben darf. Doch während der Krieg hereinbricht, schafft Mathilde es, auf eigenen Beinen zu stehen und sich in einem Düsseldorfer Unternehmen unentbehrlich zu machen. Mathilde ist klug, hat Sinn fürs Geschäft und weiß sich durchzusetzen. Wäre sie ein Mann, würde sie bald an der Spitze einer Firma stehen. Doch so bleibt ihr nur die Rolle als schöne Souffleuse für wichtige Männer.
Als Mathilde später in den Kriegswirren aus Düsseldorf fliehen muss, lässt sie alles zurück, was sie sich hart erkämpft hat – und nimmt trotzdem ein alleingelassenes Mädchen zu sich, dass sie um jeden Preis beschützt und durch die harten, dunklen Jahre bringt. Allerdings kommt auch mit dem Ende des Krieges nicht das erhoffte Aufatmen: In diese Zeit scheint Mathilde ebenfalls nicht zu passen. Niemals kann sie in stiller Demut an den Herd zurückkehren – und schon bald wird ihre Willensstärke durch die Missgunst und Lügen anderer zur Gefahr für sie …
Mathilde ist eine Frauenfigur, in die ich mich sofort verliebt habe: Sie ist nicht rund, sie eckt an. Sie hat nicht den Anspruch, etwas sein zu wollen, Mathilde »ist« einfach. Dafür entschuldigt sie sich nicht und trifft immer wieder die Entscheidung dafür, sich selbst und dem, was sie sich für andere erhofft, treu zu bleiben. Freiheit: Das ist es, was Mathilde von der Gesellschaft und ihrem Umfeld nicht gegönnt wird, doch für mich ist sie darum umso mehr der Inbegriff von Unabhängigkeit.
Viola Alvarez entwirft in ihrem Roman ein fesselndes Zeitporträt über die Nachkriegsjahre und ihre Herausforderungen. Und nicht nur für Frauen: Denn wie Mathildes große Liebe, der Geschäftsmann Henk, schmerzlich erfahren muss, ist auch für ihn nach dem Krieg kein rechter Platz mehr in der Gesellschaft. In ihrer gewohnt sprachlichen Eleganz erzählt Viola Alvarez aus zwei Perspektiven über ein aufwühlendes Kapitel unserer deutschen Geschichte: einer Frau in den 50ern und einer jungen Frauen in der Jetztzeit. Ich bin mir sicher: Ein Teil von mir ist zwischen diesen Buchseiten zurückgeblieben – und gleichzeitig habe ich beim Lesen so viel Neues gewonnen.
Tauchen Sie mit EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN von Viola Alvarez in eine fesselnde Nachkriegs-Saga ein und laden Sie sich den Roman noch heute auf Ihren eReader!
Lesetipp der Woche:
EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN von Viola Alvarez
vorgestellt von Ronja Beck, Lektorat