»[Einen historischen Roman zu schreiben,] ist wie eine Art Cluedo-Spiel, wo auch die absurdesten Theorien […] erlaubt sind.«
Ein Gespräch mit dem Bestsellerduo Monaldi & Sorti über Ihre historischen Romane IMPRIMATUR, SECRETUM; VERITAS, sowie die DA-VINCI-CHRONIKEN, ihre Faszination mit vergangenen Epochen und wie viel Wahrheit in ihren Büchern zu finden ist.
Liebe Frau Rita Monaldi, lieber Francesco Sorti, Sie beide haben sich in Ihrer schriftstellerischen Karriere über die Jahre mit sehr unterschiedlichen Themen auseinander gesetzt, sind aber immer dem historischen Genre treu geblieben. Was ist für Sie die große Faszination gerade des historischen Romans?
MONALDI & SORTI: »Schon am Anfang unserer schriftstellerischen Tätigkeit glaubten wir fest an das Potenzial des historischen Romans. Der italienische Philosoph Giambattista Vico sagte schon: ›Der Mensch kennt am besten die Geschichte, da diese das Ergebnis seiner Werke ist.‹ Ein historischer Roman ist schließlich das schriftliche Ergebnis einer Untersuchung mit dem Titel ›Wo unsere Taten und Untaten uns hingebracht haben‹. Es ist eine Art Cluedo-Spiel, wo auch die absurdesten Theorien – auch diejenigen, die von den meisten Spielern unterschätzt werden – erlaubt sind. Das Endurteil müssen aber die Lesenden fällen, nicht wir.«
IMPRIMATUR ist einer Ihrer bekanntesten Romane, der bei seiner Veröffentlichung in Ihrer italienischen Heimat für einiges an Aufruhr sorgte. Wie kamen Sie zu Ihrer Idee für diese Buchreihe und was macht die Geschichte so besonders?
MONALDI & SORTI: »Inspiriert hat uns zuallererst unsere Hauptfigur: Atto Melani, berühmter Kastrat und zugleich diplomatischer Agent, (Doppel-)Spion, Freund und Berater von Prinzen, Päpsten und Königen im 17. Jahrhundert. Auch seine Epoche, das Barockzeitalter, ist für AutorInnen eine unerschöpfliche Quelle der Begeisterung: Es war eine Zeit der Freiheit, wo die trockene Wissenschaft noch nicht über dem freien und kreativen Denken stand. Künste und Metiers hatten noch keine festen Grenzen. Ein Arzt konnte auch Philosoph sein, ein Offizier als Musiker seine Dienste anbieten, ein Wissenschaftler Gedichte verfassen. Der Schreibstil war mutig, ausgeschmückt und flüssig wie die darstellenden Künste und die Architektur.
Gleichzeitig war es aber auch die Zeit, die zur Moderne führte. Danach kamen die Französische Revolution, die hochindustrialisierte Gesellschaft und die Herrschaft der Kolonialmächte, die noch heute seine Auswirkungen entfaltet … Um das alles herüberzubringen, kann ein Buch kaum ausreichen! Wir und die Leser brauchten deswegen eine ganze Serie, um diese grandiose Landschaft mit dem Blick umfassen zu können.«
Die Hauptfigur in IMPRIMATUR, SECRETUM und VERITAS ist der Kastratensänger Atto Melani, der als Spion des berühmten Sonnenkönigs Intrigen in den höchsten politischen und geistlichen Kreisen aufdeckt. Wie würden Sie Atto in 5 Worten beschreiben?
MONALDI & SORTI: »Scharfsinnig, kühl aber innerlich temperamentvoll, nimmermüde, zum Schluss ›polýtropos‹. Letztere ist Homers Bezeichnung für Ulysses: Ein Mann, der herumgeworfen wird auf zahlreichen Wegen und Umwegen, dem vielfältige Prüfungen auferlegt werden und der viele Rückschläge zu erdulden hat. Aber am Ende, wir kennen die Geschichte, gelangt er schließlich dennoch ans Ziel. Die Frage ist natürlich, ob es Atto genauso ergehen wird …«
Der italienische Kastratensänger Atto Melani ist nicht Ihrer Fantasie entsprungen, es war eine reale historische Figur. Was hat Sie dazu bewegt, ausgerechnet Ihn zur Hauptfigur Ihrer Romane zu machen?
MONALDI & SORTI: »Als ältester der sieben Geschwister eines Domglockenspielers in Pistoia (Toskana) wurde Atto unter sehr einfachen Verhältnissen geboren. Dank eines abenteuerlichen Lebens und einer außergewöhnlichen Karriere starb er 1714 reich und geehrt in Paris – aber sicher nicht, ohne voher das ein oder andere Hindernis zu überwinden. Als wir begannen, seine Briefe zu lesen, die in italienischen und französischen Archiven und Bibliotheken verstreut waren, wurde uns sofort klar: Die Rekonstruktion seines Lebens konnte uns ermöglichen, die große europäische Geschichte, also vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Tod des Sonnenkönigs, aus dem Standpunkt eines außerordentlichen Insiders spannend und detailreich zu erzählen.«
In Ihren historischen Romanen DIE ZWEIFEL DES SALAÌ und DIE ENTDECKUNG DES SALAÌ folgen wir den Erzählungen des Ziehsohns und Schülers Leonardo Da Vincis, der allerdings mehr Augen für schöne Frauen als für die künstlerischen Visionen seines Vaters zu haben scheint. Was für eine Art von »Held« ist Salaí in Ihren Augen?
MONALDI & SORTI: »Salaì ist eine historische Figur, über dessen ausgeprägte Persönlichkeit Leonardo Da Vinci in seinen Tagebüchern einiges zu sagen hatte: ›Ein Dieb und Lügner, ein Dickschädel und Fresssack‹. Leonardo adoptierte den kleinen Salaì, damals erst zwölf Jahre alt und nahm ihn als Lehrling auf: ein echter Schlingel, wie viele Kinder in diesem Alter, der seinen neuen Vormund zunächst buchstäblich in den Wahnsinn trieb. Aber Salaì war auch ein sehr hübscher, blond-gelockter Junge, der zu einem passablen Künstler und klugen Mann heranwuchs, und mit verschiedenen Tricks (einschließlich der Fälschung von Da Vincis Gemälden) seine Position auszunutzen wusste und so ein Vermögen anhäufen konnte. Salaì hatte ein Leben voller Abenteuer und liebte das Risiko – doch wahrscheinlich muss er irgendwann einer sehr einflussreichen Person auf die Zehen getreten sein, wenn man bedenkt, was für ein Ende ihn schließlich erwartete… aber wir wollen nicht alles verraten!«
Bei welchem Ihrer Bücher hat Ihnen das Schreiben am meisten Spaß gemacht und warum?
MONALDI & SORTI: »Schwer zu sagen! Beide Serien waren eine spannende Herausforderung und haben ein ganz anderes stilistisches Engagement verlangt. Die IMPRIMATUR-Reihe hat einen Stil, der dem Barock nahe kommt, mit all dem Vielfalt und der Flüssigkeit der Sprache im 17. Jahrhundert. Die Salaì-Serie ist dagegen in Briefform und als Schelmenroman geschrieben.
Der Erzähler von IMPRIMATUR, ein guter Freund von Atto Melani, ist ein naiver, schüchterner und bescheidener Charakter, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die großen historischen Ereignisse, deren Zeuge er war, für die Nachwelt festzuhalten. Salaì hingegen, rücksichtslos und ungrammatisch, schreibt seine Briefe an einen entfernten Auftraggeber, und scheut sich nicht davor, zu verkünden, was ihm nicht passt, sich mehr mit seinen Leidenschaften (Frauen und Essen) zu beschäftigen als mit seiner eigentlichen Arbeit, und sich gnadenlos über den armen Leonardo lustig zu machen. Mehr zu Lachen hat man also wahrscheinlich mit SALAÌ – aber mit beiden Reihen kann man sich wahnsinnig gut hineinversetzen in eine Zeit, die so voller Leben und Wandel steckte.«
Das Gespräch führte Alina Hettmann aus dem dotbooks-Lektorat.
Das international erfolgreiche Autorenduo Rita Monaldi und Francesco Sorti machte mit seinem brillant recherchierten Romanzyklus IMPRIMATUR, SECRETUM und VERITAS weltweit auf sich aufmerksam. Als das Journalistenpaar außerdem im Zuge seiner Recherchen ein Geheimnis um Papst Innozenz XI. lüftete, machte der Vatikan seinen ganzen Einfluss geltend, weshalb die Werke jahrelang in Italien nicht vertrieben werden durften. In Folge des Skandals leben die Autoren heute in Wien.
Bei dotbooks erscheint die Trilogie über Abbé Melani, den Geheimagenten des Sonnenkönigs: »Imprimatur – Die Toten von Rom«, »Secretum – Die Schatten des Vatikans« und »Veritas – Die Geheimnisse von Wien«
Weiterhin veröffentlichten sie bei dotbooks die Da-Vinci-Chroniken mit den Einzelbänden »Die Zweifel des Salaì« und »Die Entdeckung des Salaì«.