Erotik- statt Buchmesse – venusbooks unterwegs

11. März 2015
dotbooks

vb-himbeer-8Kennt ihr schon dotbooks wilde Schwester venusbooks? „Lesen ist sexy“ – dies ist das Motto des neuen eBook-Verlags, der sich einem einzelnen belletristischen Genre widmet: der erotischen Unterhaltung. Und da lag es nahe, dass sich unsere Verlegerin gemeinsam mit den Herren Programm- und Marketing/Vertriebleitern einmal auf die Erotikmesse in München wagte. Was folgt ist ein – na, nennen wir es doch – Erlebnisbericht von Timothy Sonderhüsken, viel Spaß!

 

Es ist so eine Sache mit den Erwartungen. Insbesondere dann, wenn man weder weiß, was man erwartet – noch, was einen erwartet.

 

on tour: Verlegerin Beate Kuckertz, Programmleiter Timothy Sonderhüsken, Vertrieb- und Marketingleiter Marco Feuchter (v.l.n.r.)

on tour: Verlegerin Beate Kuckertz, Programmleiter Timothy Sonderhüsken, Vertrieb- und Marketingleiter Marco Feuchter (v.l.n.r.)

Also: Auf zur Erotikmesse! Wir treffen uns vor dem Eingang: die Verlegerin, unser Vertriebs- und Marketingleiter und ich. Eine Familie mit Kindern (ungefähr sieben und zwölf Jahre alt) wird gerade abgewiesen: „Sorry, nur für Erwachsene.“

„Aber wir sind doch dabei.“

„Ja, aber es ist nur für Erwachsene.“

„Wir sind schließlich die Eltern!“

Ich unterdrücke den Drang, der aufgeweckten Zwölfjährigen die Telefonnummer des Jugendamtes zuzustecken.

Ansonsten: deutlicher Männerüberhang, Durchschnittsalter gefühlt Anfang 30 (das dotbooks-Team ausgeklammert). Wir zahlen 20 Euro pro Person, bekommen einen Stempel aufgedrückt, und schon sind wir drin in der charmanten Mehrzwecklocation. Von unten wummert Musik nach oben. Erotikmesse, wir kommen!

Anders als in der Oper verweigert die Garderobendame jeglichen Blickkontakt und ist auch für ein freundliches „Vielen Dank“ wenig empfänglich. Mich beschleicht der Gedanke, dass die Dame nicht weiß, dass ich hier aus beruflichem Interesse bin. Aber vielleicht würde sie die Berufsbeschreibung „Erotikverlagprogrammleiter“ auch nicht vom Gegenteil überzeugen.

 

DIE ANDEREN BESUCHER

Auf einmal steht Maike neben mir. Keine Ahnung, ob sie so heißt – aber der Name scheint mir passend für eine vergnügt grinsende 25-jährige, die sich schick gemacht hat und offensichtlich auf die bevorstehenden Ereignisse freut. Anders als Klaus-Dieter, der nebst Freundin (Typ: verschüchterte Spitzmaus) auftritt. Gekleidet ist er in etwas, was – wie mein Kollege Marco treffend bemerkt – größere Ähnlichkeit mit einem Kommunionsanzug hat. „Aber immerhin ist er volljährig“, stellt die Verlegerin mit einem Blick zur Einlasskontrolle fest – und greift beherzt nach meinem Arm, um mich zurückzuhalten. „Wo willst du denn hin?“

„Na, da rein …“

„Das ist das Orgasmus-Center, das kostet 10 Euro extra.“

Ich sehe sie groß an. „Woher weißt du das?“

„Ich kann lesen. Solltest du auch mal versuchen. Macht vieles leichter im Leben“, erklärt sie vergnügt – und ordnet an: „So, Männer, mir nach.“

Eine Gruppe 20-jähriger schaut sie erschrocken an, widmet sich dann aber wieder den Red-Bull-Dosen.

Ab geht’s die Treppe hinunter. Ein erster Blick auf die Veranstaltungshalle. „Sieht auch nicht viel anders aus als die Buchmesse“, behaupte ich.

„Bist du sicher?“, will Marco wissen.

Okay, zugegeben: Bühnen mit großen roten Herzen sieht man in Frankfurt und Leipzig eher selten.

 

ALLES, WAS DAS HERZ BEGEHRT?

WP_20150307_007Dann sind wir drin … und nach dem ersten Umsehen ein wenig enttäuscht. Verkaufsstand reiht sich an Verkaufsstand. Jede Menge DVDs (von „Teenie Swinger Party“ über „Wer zuletzt fickt, vögelt am besten“ – dem Cover nach etwas für Liebhaber sehr alter Damen – bis hin zur Superhelden-Parodie „Avengers XXX“, in der neben den aus dem Kinofilm bekannten Helden auch noch jede Menge andere weibliche Charaktere auftauchen, weil eine Black Widow vermutlich nicht ausreichen würde). Peitschen. Erotische Parfüms (die irgendwie süßlich nach Unfall bei Douglas riechen). Massagegeräte für den Schulter-Nacken-Bereich und die Intimzone. Ein Stand mit Shades-of-Grey-Merchandising. Dildos von XXL bis XXXXXXL, wahlweise aus Plastik, Hartgummi oder Holz („Echte Handarbeit!“). Mein absolutes Highlight, von den Kollegen mit lautem Lachen quittiert: Kondome mit Speck-Aroma. Ja, lieber Facebook-Freund, Sie haben richtig gelesen. Aber es gibt offensichtlich einen Markt für alles. Beispielsweise auch für Gerätschaften, die ich nicht zweifelsfrei zuordnen kann: „Wo kommt das rein … und vor allem: warum?“

Nun gehöre ich zu den Menschen, die gerne mit anderen ins Gespräch kommen. Entspannter Smalltalk an der Käsetheke oder in der Frischgemüseabteilung meines Lieblingssupermarkts – I love it. Auf der Erotikmesse scheint dies nicht erwünscht zu sein. Ein Großteil des Verkaufspersonals ist am Tag 2 der Veranstaltung bereits stimmungstechnisch auf dem Nullpunkt angekommen. „Bärbeißig“ ist das Wort, das mir mehr als einmal durch den Kopf schießt. Die anderen Besucher scheint dies wenig zu stören. Sie inspizieren sorgfältig das Angebot, ohne dabei nach rechts oder links zu schauen. Ein Mann erkundigt sich nach einem bestimmten Film. „Müssense beiuns bestelln“, sagt die Verkäuferin desinteressiert. Er lässt sich davon nicht abschrecken und geht weiter die Regale durch. In seiner Hand ein maschinengeschriebener Brief. „Bitte bringen Sie mir mit“, lese ich dort, dahinter einige Titel und Nummern. Ich bin versucht, ihn darauf anzusprechen … aber, wie gesagt: eine Erotikmesse scheint kein Ort zu sein, um unverfänglich ins Gespräch zu kommen.

Außer Maike vielleicht. Maike ist super! Irgendwie scheint sie überall gleichzeitig zu sein und lacht und scherzt entspannt mit einer Freundin. „Schau mal, gefühlsecht!“, amüsiert sie sich und bohrt ihren Finger in die Öffnung eines Verkaufskartons. Inliegend: Ein Stück Silikon in Form eines weiblichen Unterkörpers. Als sie weitergezogen ist, greife ich auch nach dem Karton. Und ärgere mich, dass bei mir nicht jene unbeschwerte Freude am Ausprobieren aufkommt, sondern ein Gefühl von Befangenheit. „Nee nee, Herr Erotikverlagprogrammleiter, das muss besser werden!“, murmle ich meinem Gegenüber zu. Sie antwortet nicht. Was daran liegen könnte, dass es sich um eine „Liebespuppe“ handelt, die mit den Plastiklippen ein O formt. Neben ihrem Kopf liegen die Hände und Füße, der Rest des Körpers ist ordentlich zusammengefaltet und wartet auf den Einsatz der, ich zitiere, „Pumpe beiliegend“.

„Belästige die Dame nicht, die arbeitet hier“, ermahnt mich die Verlegerin. Ich nehme an, sie meint die Puppe. Wir ziehen weiter und lassen uns – diesmal von einer sehr freundlichen Fachkraft – die Fernsteuerung eines Dildos mittels Handy erklären. Weltmännisch ignoriere ich dabei aber die Frage, warum um Gottes Willen man einen Dildo mit dem Handy steuern sollte.

Kollege Marco entdeckt einen Stand mit Mittelalterkleidung, nebenan wird Silberschmuck im Gothic-Style verkauft. Danach ein Farbschock: ein Gang voller Dessous in den Größen XS, S und M. Der deutsche Erotikmarkt scheint eine klare Vorstellung davon zu haben, wer sich in wenig atmungsaktives Plastik zwängen soll.

 

THERE’S NO BUSINESS LIKE SHOWBUSINESS

WP_20150307_012Schließlich kommen wir am Ende der Halle und bei der bereits erwähnten Bühne an. Dort beginnt gerade das Showprogramm. Ein Mann im mittelgut (oder halbschlecht?) sitzenden Anzug moderiert routiniert. „Ein Profi“, urteilt die Verlegerin, „das gefällt mir. Könnte allerdings auch auf der Kirmes vor der Geisterbahn stehen.“ Stattdessen steht er vor einer Gruppe mittelalter Männer, die sich um den kleinen Catwalk schart und Kameras griffbereit hat Denn hieß es bisher „Keine Fotos, bitte“, werden wir nun dazu aufgefordert, so viele Bilder zu machen, wie wir wollen. Nicht von uns natürlich, sondern von den Damen, die nun eine nach der anderen auf die Bühne gerufen werden. „Geht spielen, Jungs!“, bescheidet uns die Verlegerin und winkt Marco und mich mit einer Handbewegung, die ein wenig so aussieht, als würde sie eine Fliege verscheuchen, nach vorne.

 

„Tja“, sage ich, nachdem die erste Dame ihren Auftritt hatte, „das ist dann ja mal …“

„Künstlich“, vollendet Marco meinen Satz. Und richtig: Naturbelassen scheint man als Frau auf der Erotikmessenbühne nichts zu suchen zu haben. Grundausstattung: falsche Brüste im XXL-Format. Aber auch Lippen, Wangen, die Stirn … alles irgendwie nicht so, wie es sein sollte. Nie wieder werde ich behaupten, Nicole Kidman würde zu viel Botox benutzen!

Die Auftritte folgen einer strengen Choreographie: Auftritt von links, High-Heel-Stolzieren auf den Laufsteg, kurzes Posieren. Dann Brüste freilegen, Kusshand werfen, Position am hinteren Bühnenrand einnehmen. Die Kameraherren knipsen, was die Auslöser hergeben. Aber obwohl der Moderator immer wieder um Applaus bittet, kommt er fast ausschließlich vom venusbooks-Team. Der Rest des Publikums hält sich an Kameras, Bierflaschen oder Hosentaschen fest. Gesichtsausdruck: Irgendwie gelangweilt, hier und da mit Spurenelementen von betonter Coolness. Selbst die ganz offensichtlich verrutschten Implantate einer Erotikdarstellerin lösen keine weitere Reaktion aus. „Hast du das gesehen?“, frage ich Marco.

„Ja, aber man will es nicht.“

Zu den leichtbekleideten Damen gesellen sich zwei Herren, von denen der eine sich als Anheizer betätigen möchte. Vor dem nicht einsetzenden Applaus flüchtet er sich in einen minutenlangen Handstand. Der andere hört auf den Namen Nio da Silva – möglicherweise ein Künstlername – und ist so muskelbepackt, dass man fast übersehen könnte, dass er noch dazu wild tätowiert ist. Nio bittet nicht um Applaus, sondern stemmt stattdessen seine Partnerin in die Höhe. Ein Hauch von „Cirque du Soleil“ weht durch die Halle. Für einen kurzen Augenblick gebe ich mich der Illusion hin, dass es nun doch noch interessant werden könnte, zumal das besagte weibliche Stemmobjekt natürliche Brüste und ein attraktives Gesicht hat. Aber: Fehlanzeige. Ihre Show findet erst später am Abend statt. Zuerst tritt nun Cleopatra auf, die gefühlte Stunden mit Schleiern wedelt, bevor diese (und auch die Reste des Outfits) fallen. Die Kameras und Handys klicken, als gäbe es kein Morgen. Fräulein Cleopatra hat ein nettes Gesicht, ein erstaunlich echt wirkendes Lächeln und einen wirklich schönen Körper … sieht man von den übergroßen Plastikhupen ab.

„Was hat sie denn da?“, frage ich die Verlegerin, die sich zu uns gesellt hat.

„Das sind die Narben von der Brust-OP“, werde ich aufgeklärt.

„Aber … die sind ja riesig!“

Die Kameras klicken weiter.

„So“, meldet sich der Moderator wieder, „jetzt wird es Zeit für den ersten Herrenstrip.“ Damit löst er eine kleine Massenflucht aus: ein Großteil der Kameraträger ist auf einmal verschwunden. Erinnert mich ein wenig daran, wie ich einmal in südlichen Gefilden das Küchenlicht anmachte und eine Kakerlakenfamilie davonstob. Stattdessen stürmt nun Maike nach vorne. Sie hat wirklich Spaß, tanzt und klatscht. Meine Laune bessert sich. Daran kann auch der Showakt nichts ändern.

„Der hat aber eine komische Frisur.“

„Auf die kommt es wohl nicht so an“, erklärt mir Marco.

Mister Problemhaar tanzt die wenigen Damen an, die vor der Bühne stehen, greift sich vor Maike in den Schritt und simuliert mit nach vorne stoßendem Becken eine wenig zärtliche Penetration. Die Zuschauerinnern zeigen sich unbeeindruckt, was Mister Problemhaar routiniert ignoriert. Ich komme nicht umhin, mir die Frage zu stellen, ob er dieses Gepumpe selbst für sexy hält.

Nach gefühlten 45 Minuten segelt die Lederjacke davon, dann das T-Shirt. Seine Haut ist tätowiert, die Hose sehr eng.

„Au weia“, sorge ich mich. „Bekommt der doch nie aus.“

„Die hat Klettverschlüsse“, behauptet Marco.

Hat sie aber nicht. Trotzdem schafft der Stripper es, sie geschickt hinunterzurollen.

„Das würde ich so nicht hinbekommen“, lobe ich.

„Da sag ich mal: Augen auf bei der Berufswahl“, kommentiert die Verlegerin.

 

MANCHMAL KOMMT ES AUF DIE GRÖSSE AN

WP_20150307_14_15_43_ProMaike macht die Augen gerade auch sehr weit auf – denn, wir erinnern uns: Die Hose ist weg. Mister Problemhaar spielt erst noch ein wenig mit einer Dekofahne, auf der ein Stripper-Dienst beworben wird, dann zieht er blank. Maike jubelt. Die männlichen Anwesenden schauen gelangweilt. Ich stelle fest, dass ein latent überdimensionierter Penis genau so dämlich aussieht wie Megaplastikbrüste, sich aber deutlich mehr bewegt. Schlonk, schlonk, schlonk. Aber immerhin gibt es dort unten kein Frisurproblem. In Ermangelung eines einzigen Haares.

„So“, freut sich der Moderator, während ich noch grüble, ob Genitalien immer ihren Reiz verlieren, wenn sie gelangweilt im öffentlichen Raum dargeboten werden, „das war doch jetzt schon mal schön. Und noch schöner wird es gleich in der Orgasmus-Lounge. Da gibt es auch bequeme Sitzgelegenheiten für euch, und ihr könnt so viel fotografieren wie ihr wollt.“

Es gibt Angebote, auf die man nicht eingehen muss.

 

AUF WIEDERSEHEN?

Kurz darauf steht Team venusbooks wieder in der Sonne. „Ja, und nun?“, frage ich.

„Was hast du erwartet?“, fragt die Verlegerin.

„Weiß ich nicht. Aber nicht … das.“

Was ich heute gelernt habe? Dass eine Erotikmesse viel mit einem Jahrmarkt und der „Heim und Handwerk“-Messe zu tun hat – und wenig mit der Form von Erotik, die ich spannend finde. Was zwischen den Verkaufsständen und Fleischdarbietungen fehlte, war jedes Knistern. Da war nichts Zärtliches in dieser Halle, aber auch nichts Wildes. Die Akteure wirkten freudlos, das Publikum emotionsarm. Bei den erstgenannten kann man sagen: Ja klar, sie machen nur ihren Job, und der hängt ihnen vielleicht auch zum Hals heraus. Aber bei den zahlenden Gästen? Auf mich machte es den Eindruck, als habe man sich unausgesprochen verabredet, dass man jetzt mal so richtig schön erotisch ist, ohne genau zu wissen, wie das gehen soll. „Wir ziehen das jetzt gemeinsam durch.“ Ja. Nun. Kann man so machen.

Muss man aber nicht.

Fazit: Auf die Erotikmesse gehe ich so schnell nicht wieder. Lieber lasse ich mich verführen von unseren Autorinnen und Autoren, die – und das weiß ich genau – ihre erotischen Texte mit einem Lächeln auf den Lippen und Vergnügen am Geschichtenerzählen schreiben. Eine sinnliche Nylon-Fantasie von Nora Schwarz, Schamloses von Aimée Laurent und Leon von Winterstein, eine spannende Geschichte von Sandra Henke oder ein durchaus derbes, aber lebensfrohes Reihum-Gevögel wie bei Eric Hallisey: das sind die Stoffe, aus dem erotische Unterhaltung gemacht werden, das sind Eintrittskarten für das ganz persönliche Kopfkino.

„Augen auf bei der Berufswahl“, sagte die Verlegerin zurecht. Und ich bin einmal mehr zufrieden, Programmleiter eines Erotikverlags zu sein.