»Es ist meine Aufgabe, uns wieder zu einem Teil der Geschichten zu machen, aus denen wir früher herausgestrichen wurden.«
Ein Gespräch mit der amerikanischen Schriftstellerin Judith Katz über historische Spuren, starke Frauenfiguren und ihren Roman ›Der Traum von Freiheit‹.
Liebe Judith Katz, wie kam Dir die Idee zu »Der Traum von Freiheit« und der Geschichte von Sofia und Hankus, die im frühen 20. Jahrhundert spielt?
Judith Katz: »Es gibt viele Gründe dafür. Eins der großen Themen, mit denen ich mich beschäftige, sind die Geschichten von jüdischen Frauen, die weder heiraten noch bei ihren Eltern bleiben, sondern ihr eigenes Leben führen wollen. Ich hatte außerdem etwas darüber gelesen, dass es früher nicht wenige jüdische Frauen gab, die unbeabsichtigt – oder auch nicht – von Verwandten in die Prostitution verkauft wurden. Hinzu kam, dass ich wusste, dass es damals in Buenos Aires eine große jüdische Gemeinde gab, die drittgrößte nach New York und Los Angeles. Ich beschäftigte mich darum mit den Plänen des Barons Maurice de Hirsch, der ab 1891 die Emigration von Juden aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern förderte, besonders nach Argentinien. Und natürlich faszinierte mich die Frage, wie jüdische Kriminelle und jüdische Gläubige sich dort miteinander arrangierten oder aneinandergerieten. Vor allem aber wollte ich in ›Der Traum von Freiheit‹ über Frauen schreiben.«
Gibt es darüber hinaus noch eine weitere Verbindung, die Du zu Argentinien hast?
Judith Katz: »Ich habe Romane von Jacobo Timerman und Nathan Englander über die argentinische Militärdiktatur in den 1970er und 1980er Jahren gelesen und begonnen, mich mit dem jüdischen Widerstand dieser Zeit zu beschäftigen. Nachdem ich eine Zeit lang damit gerungen habe, hielt ich es aber doch für die bessere Idee, mich in das frühe 20. Jahrhundert zurückzuversetzen und mir vorzustellen, wie die jüdischen Emigranten zunächst den Weg nach Moisesville fanden und von dort in Städte wie Buenos Aires und Rosario.«
Was gefällt Dir an Deinen beiden Hauptfiguren Sofia und Hankus?
Judith Katz: »Sofia mag ich, weil sie sich weigert, ein Opfer zu sein. Außerdem ist sie sexy, liebevoll und stark. Hankus verbindet viele Eigenschaften, die ich anziehend finde – sie ist eine talentierte, attraktive lesbische Frau, eine Magierin, die sich als Mann ausgibt, und eine Kämpferin, die einen starken Überlebenswillen hat.«
Warum hast Du den Roman als Monolog von Sofia geschrieben, in dem sie Hankus ihre gemeinsame Geschichte erzählt?
Judith Katz: »Es klingt sicher, als hätte ich mir das jetzt ausgedacht, aber tatsächlich hat sich diese Geschichte wie von selbst geschrieben. Mich faszinieren melancholische Frauenfiguren, die wenig sprechen – die James Deans der lesbischen Literatur. Selbst wenn ich es gewollt hätte, könnte man Hankus nicht zum Sprechen bewegen, außer vielleicht zu ein paar magischen Worten. Also musste Sofia die Geschichte erzählen, und ich mag die Intimität, die durch diese Erzählform entsteht.«
Eine der Gegenspielerinnen von Sofia und Hankus ist die jüdische Bordellbetreiberin Perle Goldenberg. Was fasziniert Dich an dieser schillernden Figur?
Judith Katz: »Ich hatte früher eine Mentorin – eine Schreibmentorin –, die mir viel beigebracht hat, aber auch einen Hang zur Grausamkeit hatte und eine ausgeprägte Anspruchshaltung. Vielleicht ist Perle Goldenberg meine Rache an ihr …«
Du hast »Der Traum von Freiheit« bereits 1997 geschrieben. Seitdem hat sich viel verändert für die LGBT-Gemeinde. Glaubst Du, dass Dein Roman heute trotzdem noch relevant ist?
Judith Katz: »Einer der Vorzüge historischer Romane ist es, dass man über Menschen schreiben kann, die es damals gegeben hat, über die es aber keine Aufzeichnungen oder Berichte gibt. Natürlich gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts lesbische Frauen in der jüdischen Immigrantengemeinde von Buenos Aires, selbstverständlich gab es auch jüdische Prostituierte, und ich bin sicher, es gab auch eine Magierin, die sich als Mann ausgab. Die Aufgabe einer lesbischen Autorin meiner Generation – und der Generationen davor und derer, die hoffentlich noch kommen werden – ist es, uns wieder zu einem Teil der Geschichten zu machen, aus denen wir früher herausgestrichen wurden. ›Der Traum von Freiheit‹ ist mein Versuch, dem gerecht zu werden. Und ganz nebenbei hat mein Roman noch eine andere Relevanz: Als ich ihn auf meinen Lesereisen auch in heterosexuellen Frauengruppen vorgestellt habe, wurde im Zusammenhang mit meinen Figuren Tutsik Goldberg und Marek Fischbein immer wieder Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, was Juden anderen Juden angetan haben. Ich finde es wichtig, daran zu erinnern – und vor allem auch daran, dass lesbische Frauen ihren Platz in der Geschichte haben.«
Wie der Titel von »Der Traum von Freiheit« schon anklingen lässt, ist es ein Roman über Menschen, die für ihre Freiheit kämpfen – Deine Hauptfiguren Sofia und Hankus, aber auch ihre Gegenspieler Tutsik und Perle. Was bedeutet Dir dieses Thema persönlich?
Judith Katz: »Hahaha – das ist eine großartige Frage an jemanden, der in den Zeiten von Donald Trump in Amerika gelebt hat, nun aber deutlich hoffnungsvoller in die Zukunft blickt.«
Das Interview führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.
Judith Katz lebt in Minnesota und unterrichtet an der Hamline University und am Minneapolis College of Art and Design. Für ihre Romane wurde sie unter anderem mit dem renommierten Lambda Literary Award ausgezeichnet.
Bei dotbooks veröffentlichte Judith Katz den Roman »Der Traum von Freiheit«.