»Ich wollte mich mit meinen Figuren in jene Zeiten hineinversetzen, nicht mit großen Feldherren oder gefeierten Helden, sondern mit jenen, die ausbaden, was die Entscheidungen einiger weniger letztlich für alle anderen bedeuten.«

4. November 2022
dotbooks

Ein Gespräch mit unserer Autorin Heidi Rehn über starke Frauen in den Stürmen der Zeit, das Leben zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges und ihren historischen Roman DIE WUNDÄRZTIN.

Liebe Heidi Rehn, in Ihrem opulenten Historienroman DIE WUNDÄRZTIN entführen Sie uns ins Deutschland zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Was hat Sie an dieser Epoche so fasziniert?

Heidi Rehn: »Seit meiner Schulzeit beschäftigt mich der Dreißigjährige Krieg. 30 Jahre Krieg – das bedeutet, eine ganze Generation kennt nichts anderes als das Leben voller Unruhen und Konflikte, hat keine Vorstellung davon, was es heißt, in Frieden zu leben. Natürlich hat man damals anders darüber gedacht als wir heute, hat als ›Durchschnittsmensch‹ andere Sorgen und Nöte gehabt. Weder die Nachrichten noch das generelle Wissen über Politik und andere Kulturen waren dem heutigen vergleichbar. Dennoch ist es auch jene Epoche, in der dank der Erfindung des Buchdrucks erstmals Flugblätter und Schriften mit Nachrichten, also Vorläufer der heutigen ›Zeitungen‹, weite Verbreitung fanden. Zugleich zogen Bänkelsänger durch die Lande und berichteten von dem Geschehen in anderen Regionen. Das heißt, damals begann das Nachrichtenzeitalter. Ich wollte das alles unbedingt einmal in einem mitreißenden historischen Roman verarbeiten, mich mittels meiner Figuren in jene Zeiten, jenes Denken und Leben hineinversetzen. Und das natürlich mit Menschen wie dir und mir, also nicht mit großen Feldherren oder gefeierten Helden, sondern mit jenen, die ausbaden, was die Entscheidungen einiger weniger letztlich für alle anderen bedeuten.«

Ihr historischer Roman DIE WUNDÄRZTIN handelt von den ganz großen, urmenschlichen Themen: von Leid und von Liebe. Was hat Sie zu der Geschichte inspiriert?

Heidi Rehn: »Ich habe mir die Frage gestellt: Wie lebten die Menschen im Dreißigjährigen Krieg, einer Zeit, in dem der Frieden über Jahrzehnte in weite Ferne gerückt war, in dem das Leiden und Sterben, aber auch der Hass Teil des Alltags so vieler Menschen war. Gibt es da überhaupt noch Raum für die ›normalen‹ Gefühle, für Liebe, Sympathie, Zuneigung, das kleine Glück, das wir doch alle brauchen wie unser täglich Brot? Denn man lebt ja nicht davon, dass eine Nation die andere besiegt, ihr ihre Religion und Lebensweise aufzwingt. Sondern davon, dass man jemanden findet, den man liebt, mit dem man sein Leben teilen und gemeinsam leben will, mit dem man vielleicht auch Hoffnung entwickelt, Träume spinnt von einem besseren, friedlicheren, sicheren Leben. Gerade in solchen Zeiten. Genau von diesen Gefühlen erzähle ich in meinem Roman DIE WUNDÄRZTIN

Die Protagonistin von DIE WUNDÄRZTIN, die Söldnertochter Magdalena, findet ihre Berufung darin, mit dem kaiserlichen Tross von Schlachtfeld zu Schlachtfeld zu ziehen und das Leid der Verletzten zu lindern. Was hat es bedeutet, als Frau zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges zu leben? Und wie gestaltete sich die Recherche für Ihren Roman?

Heidi Rehn: »Wie in den meisten Jahrhunderten war es auch damals schwierig, Frau zu sein, weil Männer an der Macht waren und aus ihrer Sicht geherrscht haben, ohne Rücksicht auf die Rechte und Bedürfnisse von Frauen. Magdalena wird in diese Welt hineingeboren und kennt natürlich nichts anderes als die Umstände ihrer Zeit. Dennoch merkt sie, dass das Leben je nach Geschlecht unterschiedlich ausfällt. Im kaiserlichen Tross – der über lange Zeiträume einer mobilen Großstadt glich, so viele Menschen zogen darin mit – übernahmen Frauen viele Aufgaben der Männer, weil diese ja als Soldaten kämpfen mussten, verletzt wurden oder starben und damit als verlässlicher Ernährer von Familien ausfielen. Frauen übten Handwerke aus, trieben Handel, waren Wundärztinnen, Hebammen, Krankenschwestern und eben auch Ehefrauen, Mütter, Geliebte. Die berühmte Mehrfachbelastung eben, die es schon immer gab und bis heute gibt.

Für meine Recherchen lese ich viel, natürlich historische Sachbücher, aber am liebsten auch Lebensberichte und Romane aus der Zeit, was für das frühe 17. Jahrhundert schon gut möglich ist, auch jenseits von Grimmelshausens Epochenwerk ›Simplicissimus‹. Außerdem reise ich immer gern zu den Orten hin, an denen meine Romane spielen. Bei der WUNDÄRZTIN waren das neben Magdeburg und Freiburg vor allem Amöneburg in der Nähe von Marburg und die Haßberge in Unterfranken. Ich muss einfach mit eigenen Augen sehen, wie die Landschaft an meinen Romanschauplätzen aussieht. Ich muss mir ein eigenes Bild machen, auch wenn ich in der Zeit nicht zurückreisen kann. Um Stimmung und Atmosphäre aufzusaugen, hilft mir da sehr.«

Magdalena, die titelgebende Heldin Ihres historischen Romans DIE WUNDÄRZTIN, ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Pflicht als Heilerin und ihrer verbotenen Liebe zu dem Kaufmannssohn Eric. Woher nehmen Sie die Ideen für Ihre Figuren? Und haben Sie einen persönlichen Favoriten?

Heidi Rehn: »Irgendwann sind die Figuren seltsamerweise da. Oft beginnt es mit einem Namen, der mir durch den Kopf geistert, oder mit der ungefähren Idee von Raum und Zeit, in der die Geschichte spielt. Und dann entwickeln die Figuren rasch ein Eigenleben. Ich führe viele Gespräche und heftige Diskussionen mit ihnen, was sie tun sollen und was nicht, was sie gern essen, trinken, nicht gern mögen, absolut abscheulich finden etc. Ich träume ihr Leben, ihr Schicksal. Das mag sich verrückt anhören, aber meine Figuren müssen für mich wirklich lebendig werden, damit ich ihre Geschichte mit- und immer wieder nacherleben und letztlich aufschreiben kann. Ihre Verhaltensweisen sind für mich wichtiger als ihr Aussehen. Das ergibt sich oft erst daraus, wie ich mir ihren Charakter vorstelle. Deshalb funktioniert es bei mir nicht wie bei manch anderen Kolleg*innen, die sich Schauspielerfotos oder Filme anschauen, um ihre Figuren zu beschreiben. Dagegen sperrt sich bei mir etwas, vielleicht, weil diese anders handeln als meine Figuren, ich Aussehen und Charakter schwer trennen kann. Und natürlich sind immer die Figuren meine Favoriten, an deren Geschichte ich gerade sitze. Aber wie als Mutter habe ich auch als Schriftstellerin keine Lieblinge, sondern liebe sie letztlich alle – mal mehr, mal weniger, aber im Zweifelsfall immer absolut gleich und würde jeden einzelnen mit aller Kraft verteidigen. Selbst die ›Bösen‹, denn ihnen gebe ich auch immer eine Spur Gutes mit, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann und will, dass ein Mensch nur böse ist und Übles will. Außerdem hat jeder eine zweite Chance verdient – auch als Romanfigur.«

Das Gespräch führte Frederik Bahr aus dem dotbooks-Lektorat.

Heidi Rehn, geboren 1966 in Koblenz/Rhein, steht mit ihren mitreißenden historischen Romanen regelmäßig auf den deutschen Bestsellerlisten. Nach einem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete sie als Dozentin und als PR-Beraterin, bevor sie sich als Texterin, Journalistin und Autorin selbständig machte. 2014 erhielt sie den »Goldenen Homer« für den besten historischen Beziehungs- und Gesellschaftsroman. Neben dem Schreiben bietet sie Romanspaziergänge durch die Münchner Innenstadt an, bei denen sich die realen Schauplätze und eindrucksvollen Hintergründe ihrer Romane hautnah miterleben lassen.

Die Website der Autorin: www.heidi-rehn.de

Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/HeidiRehnAutorin

Die Autorin auf Instagram: www.instagram.com/Heidi_Rehn

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin die historischen Krimis »Mord am Marienplatz«, »Tod im Englischen Garten« und »Die Tote am Fluss«; die zwei erstgenannten Bücher sind auch in dem Sammelband »Mord in München« erhältlich.

Außerdem erscheint bei dotbooks ihre große historische Saga um die Wundärztin Magdalena: »Die Wundärztin« und »Hexengold«. »Die Wundärztin« ist bei dotbooks auch als Hörbuch erhältlich.

DIE WUNDÄRZTIN von Heidi Rehn – überall erhältlich, wo gute eBooks angeboten werden, und natürlich auch auf unserer WEBSITE, wo das eBook für Sie im Mobi-Format für den Kindle und als ePub für alle anderen Lesegeräte bereitsteht.

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