»Ich wollte von einer Liebe erzählen, die für zwei Menschen gefährlich ist.«

24. Dezember 2021
dotbooks

Ein Gespräch mit der internationalen Bestsellerautorin Alice Hoffman über Inspirationen, Lieblingsbücher und ihre Romane DIE FRAUEN VON DER HEMLOCK-STREET, EIN SOMMER IN FOX HILL, AM UFER DES HADDAN-RIVER und DIE GEHEIMNISSE DER SPARROW-FRAUEN.

Liebe Alice Hoffman, Sie gehören zu den bekanntesten literarischen Stimmen Amerikas. Ist es einfach ein Talent oder harte Arbeit, so schwebend leicht und eindringlich zugleich zu schreiben?

Alice Hoffman: »Vielen Dank für dieses wunderbare Kompliment. Schreiben ist für mich ein Geschenk und natürlich ein Talent. Gleichzeitig ist es aber auch harte Arbeit. Ich überarbeite meine Romane wieder und wieder, um ihnen den Klang zu geben, den ich mir für sie wünsche.«

Was hat Sie zu Ihrem Roman DIE FRAUEN DER HEMLOCK STREET inspiriert, in dem eine neue Nachbarin für Unruhe in einer konservativen Kleinstadt sorgt?

Alice Hoffman: »Die Geschichte von Nora Silk, meiner Hauptfigur, ähnelt sehr der Geschichte meiner eigenen Mutter. Sie war Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre alleinerziehend, also zu einer Zeit, als Scheidungen noch selten und nicht akzeptiert waren. Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn Frauen es schaffen, ihre Kinder allein großzuziehen. Mein Roman ist also eine Hommage an meine eigene Mutter – und überhaupt an alle Single-Mütter.«

Der Roman spielt, wie Sie gerade sagten, in den 1950er Jahren und ist natürlich stark in dieser Zeit verwurzelt – und doch fühlen wir uns, was das Rollenverhalten von Frauen und Männern angeht, an unsere Gegenwart erinnert. Haben Sie das beabsichtigt?

Alice Hoffman: »Wenn ich historische Romane schreibe, ganz egal, ob sie im 20. Jahrhundert spielen oder davor, fällt mir immer wieder auf, wie viele Themen und Gegebenheiten es gibt, die uns heute immer noch beschäftigen. Natürlich verändert sich vieles, aber Männer und Frauen haben weiterhin ihre Herzen und ihre Seelen und Herausforderungen, denen sie sich deswegen stellen müssen.«

In EIN SOMMER IN FOX HILL erzählen Sie von einer großen, aber auch tragischen Liebe – und beim Lesen kann man den Eindruck bekommen, dass Sie mit diesem Roman einem anderen Buch Respekt zollen …

Alice Hoffman: »Das ist tatsächlich so. ›Wuthering Heights‹ von Emily Brontë, der auf Deutsch ›Sturmhöhe‹ heißt, ist mein Lieblingsbuch und meiner Meinung nach der beste psychologische Roman, der je geschrieben wurde. Deswegen habe ich mich von ihm zu der Liebegeschichte zwischen March und ihrem Ziehbruder Hollis inspirieren lassen.«

Es ist eine jener Lieben, die zwei Menschen den Atem raubt – und sie gleichzeitig zu ersticken droht. Sind die besten Liebesgeschichten vielleicht immer die, die nicht einfach sind?

Alice Hoffman: » Ich glaube, dass jede Liebesgeschichte immer anders ist als alle anderen. Als ich EIN SOMMER IN FOX HILL schrieb, wollte ich von einer Liebe erzählen, die für zwei Menschen gefährlich ist, und deswegen habe ich mich von Motiven aus ›Wuthering Heights‹ inspirieren lassen.«

Ihr Roman AM UFER DES HADDAN RIVER lässt sich nicht in starre Genregrenzen pressen: Sie erzählen darin von einem Polizisten, der einen Todesfall aufklären muss, von einer Liebesgeschichte und vom Erwachsenwerden eines Mädchens. Warum?

Alice Hoffman: »Mein Verständnis von Literatur hat wenig mit der Einteilung in Genres zu tun. Ich war immer schon davon überzeugt, dass ein Roman mehr erzählen kann als nur eine Geschichte und sich nie an das halten muss, was von einem bestimmten Buch erwartet wird.«

Uns hier im Verlag hat der Roman auch durch seinen ganz eigenen Ton begeistert– es klingt fast so, als hätten Donna Tart und Jane Austen das Buch gemeinsam geschrieben.

Alice Hoffman: »Ich wollte über das Thema Mobbing schreiben, besonders an Schulen, und über die gesamte Kultur des Schullebens. Das hat mich dazu inspiriert, AM UFER DES HADDAN RIVERS zu schreiben.«

DIE GEHEIMISSE DER SPARROW-FRAUEN handelt wie ihr Weltbestseller ›Practical Magic – Zauberhafte Schwestern‹ von Frauen, die magische Fähigkeiten haben – und die für diese mehr Fluch als Segen sind. Was reizt Sie an diesem Thema?

Alice Hoffman: »Ich habe mich immer schon für Märchen und Magie interessiert, besonders auch im Hinblick auf die Stärke von Frauen. In meinen Roman erzähle ich darum von einer Familie, in der die Frauen jeder Generation eine besondere Gabe haben – aber auch davon, wie komplex die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern sind.«

Die Frauen in Ihrem Roman können Lügner auf den ersten Blick erkennen, den Tod von Menschen voraussagen; eine der Vorfahrinnen der Sparrow-Frauen hatte die Fähigkeit, keinen Schmerz empfinden zu müssen. Wenn Sie sich eine Gabe aussuchen könnten, die gleichermaßen Segen und Fluch ist, welche wäre es?

Alice Hoffman: »Wenn ich ein solches Talent hätte, dann möchte ich die Kraft haben zu heilen – gerne ohne die negativen Aspekte, die in meinem Buch mit den Gaben der Frauen einhergehen.«

Ihr Werk umspannt mehr als 26 Bücher. Die vier Romane, die nun bei dotbooks erschienen sind, wurden zu unterschiedlichen Zeiten Ihrer Karriere veröffentlicht. Wie fühlt es sich an, Ihren Büchern nach vielen Jahren wieder zu begegnen?

Alice Hoffman: »Ich hoffe, das enttäuscht Sie jetzt nicht, aber ich schaue nicht nach hinten und lese meine Bücher in der Regel nicht noch einmal. Ich empfinde es so, dass sie nach der Veröffentlichung nicht mehr mir gehören, sondern meinen Leserinnen und Lesern. Meine Aufgabe ist es stattdessen, das nächste Buch für sie zu schreiben.«

Das Interview führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.

Alice Hoffman, geboren 1952 in New York, studierte Creative Writing an der Stanford University. Sie hat über vierzig Romane und Jugendbücher veröffentlicht, die mehrfach preisgekrönt, verfilmt und in viele Sprachen übersetzt wurden. Die besondere Eindringlichkeit, die ihr Werk auszeichnet, wurde von der amerikanischen Zeitschrift Entertainment Weekly treffend zusammengefasst: »Alice Hoffman scheint in die Haut ihrer Figuren zu schlüpfen, ihre Luft zu atmen und ihre Gedanken zu denken – und dies mit einer Könnerschaft, die einen vergessen lässt, dass es sich um erfundene Charaktere handelt.« Und auch das renommierte Nachrichtenmagazin Newsweek spricht LeserInnen und KritikerInnen gleichermaßen aus der Seele: »Alice Hoffman ist eine der besten Erzählerinnen ihrer Generation!«

Die Website der Autorin: www.alicehoffman.com

Bei dotbooks veröffentliche Alice Hoffman ihre Romane »Die Frauen der Hemlock Street«, »Ein Sommer in Fox Hill«, »Die Geheimnisse der Sparrow-Frauen« und »Am Ufer des Haddan River«.