Interview mit Alexandra Guggenheim – Die Malerin von Delft

Was an dem Ereignis des „Delfter Donnerschlag“ hat Sie dazu inspiriert zu fragen: Was wäre, wenn…?
Alexandra Guggenheim: »Im Oktober 1654 explodierte ein mitten in der Stadt Delft gelegenes Munitionslager mit Schwarzpulver. Nahezu die Hälfte der Häuser wurden zerstört, viele Hundert Menschen erlitten Verletzungen oder kamen ums Leben.
Über die Hintergründe der Explosion ist damals viel spekuliert worden. Manche Zeitgenossen sahen darin eine Strafe Gottes für die Lasterhaftigkeit der Menschen. Andere vermuteten einen Anschlag durch Neider von außerhalb, die der Stadt ihren Wohlstand missgönnten. Das brachte mich auf den Gedanken, dass es für diese Katastrophe auch eine andere Ursache gegeben haben könnte, eine sehr persönliche…«
Sarah ist eine starke und unabhängige Frau, besonders für ihre Zeit – was hat Sie zu dieser Figur inspiriert?

Alexandra Guggenheim: »Nach meinem Rembrandt-Roman »Der Gehilfe des Malers« wollte ich mich zunächst einem weiteren großen Künstler dieser Epoche zuwenden: Jan Vermeer. Aber dann reizte mich die Vorstellung, eine Frau als Hauptfigur zu wählen: Sarah Meulemeester. Sie ist mit Vermeer befreundet, die beiden haben sich im Atelier ihres gemeinsamen Lehrers kennengelernt. Vermeer begegnet Sarah auf Augenhöhe, gleichzeitig ist er ihr Mentor. Für den Charakter der Sarah haben mich zwei Künstlerinnen dieser Zeit inspiriert: die großartige Porträtmalerin Judith Leyster und Rachel Ruysch, deren Blumenstillleben Generationen von Malern beeinflusste. Beiden glückte, was nur wenigen Frauen gelang: sie wurden in die von Männern dominierte Malergilde aufgenommen.
Meine Protagonistin erfährt die Vorurteile ihrer männlichen Kollegen. Sie muss kämpfen – um ihre gesellschaftliche Anerkennung und ums tägliche Überleben. Sarah gewinnt diesen Kampf, denn sie ist vor allem eines: eine starke, leidenschaftliche und empfindsame Frau und Malerin.«
Kunst spielt eine zentrale Rolle in diesem Roman. Was fasziniert Sie an der Malerei des 17. Jahrhunderts?

Alexandra Guggenheim: »Die Malerei des sogenannten »Goldenen Zeitalters« der Niederlande hat mich seit Beginn meines Studiums der Kunstgeschichte fasziniert. Für mich ist das 17. Jahrhundert eine der spannendsten Epochen europäischer Geschichte. Die Niederlande galten damals als bedeutende Wirtschaftsmacht. Ihr Reichtum kam insbesondere durch den Kolonialhandel mit Indien, China und Südamerika zustande. Händler, Handwerker, Beamte und Offiziere erlangten gesellschaftlichen Einfluss und daraus erwuchs das Bedürfnis, den persönlichen Status zur Schau zu stellen. Neue Bildgattungen entstanden wie Landschaftsmalerei und Sittengemälde. Andere gefragte Genres waren Historienbilder, Blumenstillleben und Porträts, sowohl Einzel- als auch Gruppenporträts. In dieser einhundertjährigen kulturellen Blütezeit entstanden mehrere Millionen Gemälde. Ungefähr ein Zehntel davon ist heute noch erhalten. Sie erlauben uns einen Blick in das Alltagsleben und in die Gedankenwelt der Menschen eines vergangenen Zeitalters.«
Ein historischer Roman steht immer zwischen überlieferten Fakten und Fiktion. Wie halten Sie diese Balance?

Alexandra Guggenheim: »Bei meiner Arbeit kommen zuerst die Fakten, dann folgt die Fiktion. Am Anfang eines jeden meiner Romane steht eine intensive, oftmals mehrere Monate dauernde Recherche. Erst danach beginne ich mit der »Architektur« meiner Geschichte. Ich lege den zeitlichen Rahmen fest, bestimme Anfang, Mitte und Schluss und suche die bestmöglichen Momente für unerwartete Wendungen aus. Manche sind bereits vorgegeben, wenn es sich um historisch nachweisbare Ereignisse handelt. Danach widme ich mich den Charakteren und erstelle für jeden ein persönliches Profil mit Namen, Alter, Geschlecht, Aussehen, biographischen Besonderheiten, Vorlieben, Ängsten … Auch da ist mir Genauigkeit wichtig, besonders, wenn es sich um Personen handelt, die tatsächlich gelebt haben. So sind in meinem Roman die Namen von Ehefrau, Kindern und der Schwiegermutter Vermeers ebenso historisch belegt wie die der Magd, einiger Handwerker und Malerkollegen.
Bei den fiktiven Figuren erlaube ich mir mehr Freiheiten. Dennoch achte ich darauf, dass sie nicht wie Personen des 21. Jahrhunderts wirken, die lediglich ein historisches Kostüm tragen. Sondern wie Menschen, die in einer anderen Zeit gelebt, gekämpft und geliebt haben.«
Das Gespräch führte Luisa Jann aus dem dotbooks-Lektorat.
Alexandra Guggenheim ist Kunsthistorikerin und Journalistin mit dem Hang zum Geschichtenerzählen. Mit ihren historischen Romanen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und auch unter den Pseudonymen Anna Paredes und Agnès Gabriel erscheinen, hat sie sich ein internationales Publikum erobert. Die Autorin lebt in Hamburg. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin »Der Gehilfe des Malers«, »Die Malerin von Delft« und »Die Schatten des Klosters«.