Interview mit Britt Reißmann – Nur ein Sterbenswort

15. August 2025
dotbooks

Neugierig nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »NUR EIN STERBENSWORT, der erste Band Ihrer neuen Krimireihe um Meike Masur, spielt wieder in Stuttgart – für Sie ein Heimspiel?«

Britt Reißmann: »Ja, ich lebe selbst in Stuttgart und ehrlich gesagt spart man sich eine Menge Recherchearbeit, wenn man das Setting ins eigene Umfeld verlegt, wo es ganz sicher authentisch ist. Als ich mit dem Krimischreiben anfing, gab es außerdem zwar schon eine einige Schwaben-Krimis, aber kaum welche, die direkt in der Landeshauptstadt spielten. Ich mag die Stadt, die wirklich viel an Lebensqualität zu bieten hat. Sie hat trotz ihrer Größe etwas Gemütliches und ist landschaftlich am Rande der Schwäbischen Alb wundervoll gelegen. Auch wenn mich das ständige Auf und Ab als Fußgänger manchmal an meine Grenzen bringt, es ist ja doch sehr hügelig hier.«

Nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »Ihre Kommissarin Meike Masur erlebt durch den Umzug nach Stuttgart in NUR EIN STERBENSWORT das Ost-West-Gefälle, außerdem einen kleinen augenzwinkernden Kulturschock im schwäbischen Land – was fanden Sie für die Darstellung besonders spannend?

Britt Reißmann: »Da ich selbst aus den alten Bundesländern stamme, kenne ich beide Seiten und stehe quasi in Meikes Schuhen. Was mir nach meinem Umzug am meisten zu schaffen machte, war tatsächlich der schwäbische Dialekt. Ich kann ihn nach über 30 Jahren im Ländle bis heute nicht sprechen, auch wenn ich ihn inzwischen recht gut verstehe. Spannung entsteht aber nicht nur durch das Ost-West-Gefälle, sondern auch zwischen Nord und Süd. Ich habe während meiner Kindheit und Jugend viel Zeit an der Ostsee verbracht, und Meikes Heimatstadt Stralsund ist eine meiner Lieblingsstädte. Der Mentalitätsunterschied zwischen den ostdeutschen ›Fischköppen‹ und den doch mitunter recht biederen Schwaben könnte größer nicht sein und erfordert schon ein ordentliches Maß an Flexibilität.«

Neugierig nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »In Ihrer neuen Reihe um MEIKE MASUR tauchen auch die Kommissarinnen Thea Engel und Verena Sander aus Ihren anderen Reihen auf – was ist für Sie der Anreiz, ein ganzes Stuttgarter Krimi-Universum zu schaffen?«

Britt Reißmann: »Dieses ›Krimi-Universum‹ deckt sich mit meinem Arbeitsalltag. Es entspricht viel mehr der realen Polizeiarbeit, nicht immer denselben Ermittler oder dieselbe Ermittlerin Mordfälle lösen zu lassen, sondern auch die KollegInnen dabei zu berücksichtigen. In der Wirklichkeit wird bei so etwas im Team ermittelt. Auch wenn ein Roman natürlich eine Hauptfigur verlangt, kann diese die Arbeit nicht allein gemacht werden. Die Hauptsachbearbeitung, wie das bei uns heißt, wechselt bei jedem neuen Fall immer wieder durch. Als Leserin habe ich diese Vorgehensweise zum ersten Mal bei Håkan Nesser beobachtet, der nicht bei jedem Buch seinen Protagonisten Van Veeteren in den Fokus stellte, sondern auch immer mal wieder dessen Kollegen. Das fand ich unglaublich erfrischend und auch wirklichkeitsnäher als die Konzentration auf eine einzige Figur, wie es in den meisten Krimiserien der Fall ist. Nesser ist damit sozusagen zu einer Art Vorbild für mich geworden.

Meine drei Ermittlerinnen sind starke Frauen, die sich in einer oft von Männern dominierten Welt behaupten und dabei mit typischen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Jede von ihnen hat allerdings einen ganz anderen persönlichen Hintergrund, der sie geprägt hat und ihre Handlungen und Verhaltensweisen beeinflusst.«

Wir haben für euch unsere Autorin Britt Reißmann gefragt, ob ihre alltägliche Polizeiarbeit neben dem Schreiben von Kriminalromanen eher inspiriert oder schwierig zu vereinbaren ist?

Britt Reißmann: »Auf jeden Fall ist meine Arbeit eine ständige Quelle der Inspiration, aber natürlich kann ich keine realen Fälle nacherzählen, sondern muss mir die Quintessenz herauspicken und eine komplett neue Geschichte drumherum bauen. Das Hinderliche dabei ist: Man muss die Realität extrem ausblenden, um offen für neue Ideen zu sein. Das gilt übrigens nicht nur für Inspirationen aus meinem beruflichen, sondern auch aus meinem persönlichen Umfeld.

Bei NUR EIN STERBENSWORT ist mir tatsächlich zum ersten Mal passiert, dass die Realität die Fiktion einholte. Als das Manuskript bereits im Lektorat war, bekamen wir einen Fall, in dem so viele Details mit meiner erfundenen Geschichte übereinstimmten, dass ich glaubte, hellseherische Fähigkeiten entwickelt zu haben.«

Nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »In NUR EIN STERBENSWORT wird Meike Masur mit dem Mord an einer jungen Frau konfrontiert. Doch sie wurde nicht nur Opfer eines Gewaltverbrechens, sondern auch von Gaslighting – was hat sie dazu bewegt, dieses Thema aufzugreifen?«

Britt Reißmann: »Ich habe so einen Fall in meinem persönlichen Umfeld erlebt. Das war eine sehr intensive Erfahrung, bei der ich aus Sicht einer Außenstehenden, die aber sehr nahe am Opfer dran war, sehr viel über die Psychologie des Täters wie auch des Opfers gelernt habe. Auch hier habe ich allerdings lediglich die Verhaltensweisen beider für meinen Roman verwendet, aber komplett andere Figuren, ein anderes Setting, eine andere Hintergrundgeschichte entwickelt, um die Persönlichkeitsrechte zu schützen. In solchen Fällen kann das Schreiben tatsächlich bei der Verarbeitung von eigenen schwierigen Erfahrungen helfen.«

Nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »In Ihren Krimis zeigen Sie auf, wie fließend teils die Grenzen zwischen Opfern und Tätern sein können. Wollen Sie am Ende eines Buchs überhaupt klare Antworten liefern?«

Britt Reißmann: »Jein. Insofern, dass es für mich manchmal keine klaren Antworten gibt. Natürlich lege ich meine Sicht auf die Dinge offen, aber die ist oft sehr ambivalent. Ich glaube, dass man Figuren am besten entwickelt, indem man sich in ihre Situation hineinversetzt. Dadurch versteht man ihre Beweggründe, auch die der Täter, ohne sie gutheißen zu müssen. Ich habe bei meiner Arbeit mit Tätern und Opfern im Laufe der Jahre erkennen müssen, dass es häufig nicht einfach nur Schwarz und Weiß gibt, und das fließt natürlich in meine Art zu Schreiben mit ein, so auch wieder in meinen neuen Kriminalroman NUR EIN STERBENSWORT.«

Neugierig nachgefragt bei unserer Autorin Britt Reißmann: »Durch den Umzug ihrer Ermittlerin nach Stuttgart und die neue Zusammenarbeit mit ihrem Cousin, wird Meike Masur erneut mit der DDR-Vergangenheit ihrer Familie konfrontiert – welchen Einfluss hat das auf sie als Mensch sowie als Polizistin?«

Britt Reißmann: »Meikes familiärer Hintergrund geht an einem Menschen natürlich nicht spurlos vorbei, egal, ob Polizistin oder nicht. In der DDR konnte man relativ unbehelligt leben, wenn man sich ruhig verhielt und sich nicht gegen die Diktatur auflehnte. Meikes Eltern haben das jedoch getan und zahlen teilweise heute noch einen hohen Preis dafür. Meike fühlt sich dafür mitverantwortlich, obwohl sie damals ein Kind war und gar nichts tun konnte. Doch diese diffuse Schuld hat sie bis heute nicht ganz verarbeitet. Sie schaut genau hin, wenn es um das Motiv eines Verbrechens geht, und das macht sie empathisch und auch verletzlich.«

Das Gespräch führte Ronja Beck aus dem dotbooks-Lektorat.

Britt Reißmann, geboren 1963 in Naumburg/Saale, war Intarsienschneiderin und Sängerin, bevor sie für die Mordkommission Stuttgart zu arbeiten begann. Seitdem veröffentlichte sie zahlreiche Krimis, die u. a. mit dem Delia-Literaturpreis ausgezeichnet wurden.

Die Autorin im Internet:

www.brittreissmann.de

www.instagram.com/reissmannbritt

Britt Reißmann veröffentlichte bei dotbooks ihre Krimireihen um KOMMISSARIN VERENA SANDER sowie um KOMMISSARIN THEA ENGEL, den ersten Band dieser Reihe schrieb sie gemeinsam mit Silvija Hinzmann. Auch bei dotbooks erscheinen ihre Reihe um KOMMISSARIN MEIKE MASUR, die auch als Printausgabe und im Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich ist.