Interview mit Julian Lees – Das Haus der tausend Blüten

»Wir haben für euch unseren Autor Julian Lees interviewt, der uns in seinen Romanen an exotische Schauplätze entführt – in DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN etwa nach Malaysia. Was macht das Land als Setting für ihn so faszinierend?«
Julian Lees: »Ich bin in Hongkong geboren und aufgewachsen, aber schon von klein auf war ich von Malaysia fasziniert. Es hat einen Charme und eine Einzigartigkeit, die einen sofort in den Bann ziehen, und man kommt nicht umhin, die Vielfalt im Land zu bewundern – die malaiischen, chinesischen und indischen Communities sind alle unglaublich lebhaft und farbenfroh. Es ist sehr interessant dabei zuzusehen, wie in Malaysia moderne Lebensstile und alte Traditionen verschmelzen: Es gibt ehrwürdige Tempel und Moscheen zu erkunden, tropische Regenwälder, Dschungel, Strände, und in Kuala Lumpur eine pulsierende moderne Stadt voller wunderbarer Unvollkommenheiten. Und lasst mich gar nicht erst von dem Essen anfangen! Meiner bescheidenen Meinung nach ist es das Beste in ganz Asien.
Ich entschied mich, DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN in Malaysia anzusiedeln – die Geschichte spielt in den stürmischen Jahren zwischen den 1930er- und den frühen 1960er-Jahren –, weil es eine exotische und zugleich turbulente Kulisse bot. In dieser Zeit passierte so viel in dem Land: der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, die brutale japanische Besatzung, gefolgt vom tödlichen kommunistischen Aufstand, die Unabhängigkeit von Großbritannien, Bürgerkriege … Wenn ein Land all diese Umwälzungen und all diesen Schmerz durchmachen und trotzdem zusammenhalten, ja sogar aufblühen kann, ist das etwas, über das ein Schriftsteller schreiben muss. Und genau das wollte ich mit den von mir geschaffenen Figuren tun.«
»Neugierig nachgefragt bei unserem Autor Julian Lees: Was hat dich zu deinem gefühlvollen Roman DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN inspiriert?«

Julian Lees: »Meine Familiengeschichte mütterlicherseits ist sehr bewegt: Meine Mutter wurde 1938 in Shanghai geboren. Mein Großvater George war ›Eurasier‹ – halb Brite, halb Chinese – und meine Großmutter Agrippina war Weißrussin. Agrippina war die Tochter eines Generals, der 1918 vor der bolschewistischen Revolution floh, und ihre Familie musste ganz von vorne anfangen. Zu dieser Zeit war die Familie meines Großvaters in Shanghai sehr erfolgreich. Sie besaßen ein renommiertes Geschäft für Kräutermedizin. Als George und Agrippina sich verliebten, waren beide Familien zunächst nicht einverstanden: Die ›Eurasier‹ wurden von der Gesellschaft verachtet, ebenso wie die Russen, und dieses Gefühl der Entwurzelung und Diskriminierung ist ein Thema, das ich in meinen Romanen aufgreifen wollte.
Das wird in den Figuren und der Handlung von DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN deutlich, insbesondere in Sum Sums Gefühl der Isolation als Außenseiterin in einem fremden Land. Außerdem wurden meine Mutter und ihre Familie während des Zweiten Weltkriegs in ein Internierungslager geschickt, während das kaiserliche Militär ihr Haus beschlagnahmte. Es gibt Anklänge daran in meinem Roman, als Lu See gezwungen wird, ihr Haus in Malaysia während der japanischen Besatzung aufzugeben und ihr Besitz beschlagnahmt wird. Ich würde also sagen, dass meine Inspiration aus den Geschichten stammt, die mir meine Großeltern über die Kriegsjahre und eine vergangene Ära erzählt haben, und aus ihrer Kraft, diese schwierigen Zeiten zu überstehen.«
»Julian Lees‘ Roman DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN spielt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zur Zeit der englischen Besatzung Malaysias. Wieso spielt sein Roman gerade in dieser Epoche?«

Julian Lees: »In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand Malaya (wie es damals genannt wurde) unter britischer Herrschaft und galt als eine der profitabelsten Kolonien des britischen Reiches. Es war der größte Produzent von Kautschuk und Zinn in der Welt. So wie der Goldrausch im 19. Jahrhundert auch Tausende von Chinesen nach Kalifornien lockte, war es nun das Zinn, das sie nach Malaya lockte. In kürzester Zeit wurde der Zinnbergbau von den Chinesen dominiert, und mit ihrem Erfolg kamen auch die Kaufleute, Anwälte, Bankiers und Landbesitzer – Landbesitzer wie der Vater meiner Protagonistin Lu See.
Ich habe DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN in jener Zeit angesiedelt, weil die chinesische Kultur damals besonders stark aufblühte. Es war eine Zeit des Wohlstands, aber vor allem war es eine Zeit, in der Chinesen und Malaien Seite an Seite in Häusern aus Stroh und Holz lebten, in der Ethnie und Religion weniger ein Thema waren als heute, in der das Leben unter den Zwängen des Kolonialismus das Beste und das Schlimmste aus den Menschen herausholte.
Frauen lebten damals in einer patriarchalischen Gesellschaft, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der eigenen Familie. Die meisten Frauen haben dies wohl als ihr Los akzeptiert, aber ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstachtung, ihre Ambitionen und Perspektiven wurden zweifellos durch die herrschenden Strukturen beeinträchtigt. Aber es gab auch einige, die dadurch ermutigt wurden, die sich auflehnten, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, die rebellierten, um ihre Rechte einzufordern – Frauen wie Lu See.«

»Nachgefragt bei unserem Autor Julian Lees: Welche Wandlung macht deine Protagonistin Lu See in deinem Roman DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN durch und weshalb? Und wenn du dich entscheiden müsstest – welche deiner beiden Hauptfiguren ist dir beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen?«
Julian Lees: »Lu See ist zu Beginn des Romans jung und ungestüm. Sie kämpft mit ihrer Erziehung und ihrer Loyalität zu ihren Eltern und beschließt, sich nicht auf eine arrangierte Ehe einzulassen und mit der Liebe ihres Lebens, Adrian, in ein anderes Land durchzubrennen. Wir können miterleben, dass sie gelegentlich unsicher ist, ob sie sich nicht den Zwängen der Gesellschaft fügen sollte. Aber sie wird von der Liebe und dem Bedürfnis, sich weiterzuentwickeln, angetrieben und strebt danach, sich aus eigener Kraft eine Universitätsausbildung zu sichern. Doch eine Tragödie beraubt sie ihrer Unschuld und Zuversicht.
Letzten Endes geht sie gestärkt aus ihrem Unglück hervor, mit einer unerschütterlichen Loyalität gegenüber den Menschen, die sie liebt, und dem Ziel, für sich einen Platz an der Sonne zu finden. Außerdem tut sie alles in ihrer Macht Stehende, um ihre Tochter Mabel davon abzuhalten, die gleichen Fehler zu machen wie sie. Sie wird robust und besonnen, hat aber immer noch das dringende Bedürfnis, ihre lange verschollene Freundin Sum Sum wiederzusehen, der sie viel zu verdanken hat. Ich glaube, dass sie eine Frau ist, deren Wunden vielleicht nie heilen werden, aber deren Mutterrolle am Ende ihre Rettung sein wird.
Welche meiner beiden Hauptfiguren mir besonders ans Herz gewachsen ist? Zweifelsohne Sum Sum. Ich mag ihren verrückten Humor und ihre Exzentrik, ihren Optimismus und ihre Offenheit. Doch trotz ihrer Eigenheiten ist sie der Fels in der Brandung von DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN und diejenige, die mich emotional am meisten berührt hat.«
Das Gespräch führte Frederik Bahr aus dem dotbooks-Lektorat.
Julian Lees wurde 1967 in Hongkong geboren. Er verbrachte seine Kindheit in England und studierte an der University of Cambridge. Julian Lees arbeitete als Aktienhändler, bevor er sich als Autor selbstständig machte. Er lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Kuala Lumpur. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine exotischen Sagas DER GARTEN DER WILDEN MAGNOLIEN, DER DUFT DER ORCHIDEENBLÜTE und DAS HAUS DER TAUSEND BLÜTEN.