Patrick Hinz im Interview zu „Herr S. bekommt Besuch“

27. Januar 2017
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Patrick Hinz (c) Thomas Nick

Patrick Hinz (c) Thomas Nick

„Mir ist es nicht peinlich, über Gefühle zu schreiben“

Ein Gespräch mit Patrick Hinz über prägende Erinnerungen, ein besonderes Mutter-Sohn-Verhältnis und seinen neuen Roman HERR S. BEKOMMT BESUCH.

 

Dein neuer Roman HERR S. BEKOMMT BESUCH ist eine Liebeserklärung an Familie – was hat Dich an diesem Thema gereizt?

Patrick Hinz: „Vor allem die Schattenseiten.“ (lacht) „Die Prägung durch die Eltern, Erlebnisse in der Kindheit – all das sind Faktoren, die unsere eigene Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Das Thema Familie und die damit verbundene Verarbeitung und Bewältigung der Vergangenheit ist auch im Erwachsenendasein allgegenwärtig. Ich spiele gerne den Hobbypsychologen – mit Betonung auf ‚Hobby‘, weil ich keiner bin, aber mich gerne damit befasse und darüber schreibe.“

 

Und was sagt der Hobbypsychologe über sich selbst?

Hinz, Herr S bekommt Besuch 1Patrick Hinz: „Ich finde mich oft in Situationen wieder, in denen ich allzu emotional reagiere, was ich danach oft bereue. Dann wird mir bewusst, dass es einen bestimmten Grund gibt, warum ich mich so verhalten habe, der aus einem alten Muster herrührt, das wiederum seine Ursache in der Vergangenheit hat. Das geht uns allen so, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Natürlich bezieht sich das nicht alles auf die Familie, sondern auch auf unsere Erlebnisse im Kindergarten, der Schule. So wie uns die Eltern prägen, haben auch die Freunde, mit denen wir aufwachsen, ihre Wirkung auf uns, und Erfahrungen wie der erste Liebeskummer. Natürlich kann uns das alles zu einem starken, selbstbewussten Menschen machen. Aber als Autor interessiert es mich natürlich, über Figuren zu schreiben, die mehr als eine Sollbruchstelle haben.“

 

Sind wir alle Deiner Meinung nach also Opfer unserer Vergangenheit?

Patrick Hinz: „Das ein oder andere Paket aus grauen Vorzeiten tragen wir alle mit uns herum. Das soll nicht heißen, dass man seine Kindheit als Entschuldigung nutzen darf, um sich wie Herr S. zu Beginn meines Romans zu benehmen und andere Menschen zu verletzen. Die Aufgabenstellung ist vielmehr: Mach was draus, verändere etwas, arbeite an dir – und nimm niemals die eigenen juvenilen Berg- und Talfahrten als Freibrief, um ein Arschloch zu sein. Und ganz wichtig ist mir vor allem: Familie ist in den meisten Fällen Gott sei Dank kein Dr. Frankenstein, der ein Monster kreiert, sondern der Kokon, der uns schützend umschließt, der uns Luft und Raum gibt, uns frei zu entfalten und zu entwickeln, der uns mit Energie versorgt, mit Kraft, das Leben zu meistern. Ich gerate ins Schwärmen, merkt man das?“

 

Hinz, Herr S bekommt Besuch 2Marie, die Mutter des Titelhelden, ist eine wunderbar kratzbürstige Figur – da liegt die Frage nah, ob Dich Deine Mutter dazu inspiriert hat?

Patrick Hinz: „Auf diese Frage habe ich gewartet, seit HERR S. BEKOMMT BESUCH erschienen ist. Jetzt ist sie endlich da, und ich freue mich, sagen zu können: Meine Mutter und Marie haben nichts gemeinsam. Wer mich kennt, der weiß, dass wir zuhause immer mehr ein Team waren als Eltern und Kind, weil wir einiges gemeinsam durchmachen mussten. Seit mein Vater vor über acht Jahren gestorben ist, sind meine Mutter und ich sogar noch enger miteinander verbunden als vorher.
Die Inspiration zur Figur der Marie bekam ich von vielen anderen Müttern meiner Freunde, von Tanten, Omas … Aber um noch mal den Hobbypsychologen zu bemühen: Vielleicht hat es mich gerade deswegen so gereizt, über ein für mich gänzlich fremdes Mutter-Sohn-Verhältnis zu schreiben, weil ich so etwas nie selbst erlebt habe. Ehrlich gesagt hat es mir sogar Freude bereitet, eine Situation zu kreieren, in der ein Sohn sich mit seiner Mutter mal so richtig fetzt. Gleichzeitig war es mir wichtig, so darüber zu schreiben, dass meine Leser sich über die verbalen Schlagabtäusche zwischen Herrn S. und Marie amüsieren können. Eine gute Freundin hat gesagt, dass sie lauthals lachen musste, als sie die entsprechenden Szenen las, danach aber sofort ihre Mutter angerufen hat, um ihr zu sagen, wie glücklich sie über ihr gutes Verhältnis ist. Ein schöneres Kompliment kann es für einen Autor doch nicht geben!“

 

Du schreibst über große Gefühle, ohne kitschig zu werden – wie gelingt Dir das?

Hinz, Herr S bekommt Besuch 3Patrick Hinz: „Solange ich als Autor authentisch bleibe und das, was ich schreibe, in diesem Moment auch lebe und vor allem fühle, kann ich gar nicht kitschig werden. Wer ehrlich schreibt, wird ehrlich wahrgenommen. Die blumigste Ausmalung eines Regenbogens über dem karibischen Horizont wird nicht kitschig, solange man ihn ehrlich beschreibt, und ehrlich bedeutet nachvollziehbar. Mir ist es nicht peinlich, über Gefühle zu schreiben. Und ich behaupte jetzt mal kühn und frech: Wer ehrliche Gefühle als kitschig empfindet, hat vielleicht ein Problem damit, seine eigenen zuzulassen. So wie Herr S. aus meinem Roman – der hat unter seiner blankpolierten, smarten Oberfläche so viel Angst davor, sich echten Emotionen zu stellen, dass er lieber einen Sicherheitsabstand zu den Menschen um ihn herum einhält. Der Mann braucht dringend ein paar große Gefühle … aber die findet er dann ja auch, wenn auch anders, als er je für möglich gehalten hätte.“