»Isabelle [ist] eine Romanfigur, die ihrem Liebsten konsequent bis zum Ende die Treue hält, auch wenn sie nur kurz mit ihm zusammen sein konnte«
Ein Gespräch unserer Autorin Alexandra von Grote über das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, den Tuchhandel im Zweiten Weltkrieg und ihren neuen Roman DIE STUNDE DER SCHATTEN.
Liebe Frau von Grote, immer wieder treibt es Sie in Ihren Romanen in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, häufig auch nach Frankreich, wie in Ihrem neuen Roman DIE STUNDE DER SCHATTEN. Warum übt dieses Setting so eine große Faszination auf Sie aus?
Alexandra von Grote: »Da ich selbst in der Nachkriegszeit in Deutschland und Frankreich aufgewachsen bin, hat mich insbesondere auch die historische Dimension im Verhältnis dieser beiden Nationen interessiert. Von den Verbrechen an den Juden, vom Holocaust, habe ich erstmals in Paris auf meiner französischen Schule erfahren. Während meiner Zeit in Paris habe ich oft Ressentiments gegen die Deutschen gespürt, obwohl ich nicht zur Generation der Täter gehöre.
In meiner künstlerischen Arbeit, insbesondere bei meinem Film ›Novembermond‹, aber auch in den meisten meiner Romane, habe ich die Handlungen jeweils nach Frankreich verlegt. Beim Roman DIE STUNDE DER SCHATTEN bot sich dann die Gelegenheit, eine deutsch-französische Familiengeschichte zu erzählen, in der ein dunkles Geheimnis wieder aufgerollt wird …«
Gibt es ein reales Vorbild für die Tuchhändlerfamilie Dolbré, die im Vordergrund von DIE STUNDE DER SCHATTEN steht, oder haben Sie sich von vielen verschiedenen Quellen inspirieren lassen?
Alexandra von Grote: »Für die Tuchhändlerfamilie Dolbré gibt es kein reales Vorbild. Die Geschichte ist reine Fiktion. Meine Inspirationsquelle war, wie meistens, die Geschichte, also die historischen Zusammenhänge. Während der Hugenottenverfolgungen unter Ludwig IV verließen viele Familien ihr Heimatland Frankreich. Viele flüchteten damals nach Preußen, wo dringend Handwerker und Fachkräfte gesucht wurden und wo sich den Hugenotten gute Bedingungen boten. Aus Südfrankreich kamen zumeist Weber oder Tuchmacher. Der französische Zweig der Familie, der in Frankeich geblieben ist, hat sich dem Weinbau zugewandt. Der andere, nach Deutschland eingewanderte, setzte die Tradition des Tuchhandwerks fort, wie ihre Vorväter in Nîmes. Die Stadt Guben an der Oder, einer der Handlungsorte, habe ich ausgewählt, weil sie lange Zeit ein Zentrum der Tuchmanufakturen war. Dies können zahlreiche Recherchen belegen. Eine weitere Quelle meiner Inspiration waren Archiv-Unterlagen über die Heereskleiderkammer der Deutschen Wehrmacht. So brachte ich in Erfahrung, dass die Wehrmacht bei Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Tuchmanufakturen mit der Herstellung von Uniformtuchen beauftragt hat – und hatte ein Setting mit großem Potential für Konflikt und Dramatik gefunden. Denn wo wäre die Liebe einer Deutschen zu einem Franzosen gefährlicher, als direkt unter den Augen der Nationalsozialisten?«
Im Roman rekapituliert Isabelle ihre dramatische Liebe zu dem jungen Winzer und Soldaten Dominique im Zweiten Weltkrieg. Sind es vielleicht gerade die Widrigkeiten, die die Liebe der beiden so stark machen?
Alexandra von Grote: »Die Literatur weltweit, so wie zahlreiche Kinofilme, widmet sich dem Thema Liebe in Zeiten von Krieg und Not, Liebe als Motivation, alle Hürden und Widrigkeiten zu überstehen, Liebe bis in den Tod, etc. Bereits in meinen Kinofilmen ›Novembermond‹ und ›Reise ohne Wiederkehr‹, aber auch in meinem Roman DIE NACHT VON LAVARA, spielt das Thema unbedingter und allumfassender, aber auch tragischer Liebe eine große Rolle. Im Roman DIE STUNDE DER SCHATTEN zeige ich mit Isabelle eine Romanfigur, die ihrem Liebsten konsequent bis zum Ende die Treue hält, auch wenn sie nur kurz mit ihm zusammen sein konnte. Sie tut alles, um ihm in der Not zu helfen, auch wenn sie sich später zu Handlungen gezwungen sieht, die ihr eine tiefe Schuld aufbürden. An dieser Schuld leidet sie ein ganzes Leben lang, bis sie beinahe daran zerbricht. Durch ihre Großnichte Claire kann Isabelles seelischer Konflikt endlich gelöst werden, als sie sich schließlich Claire anvertraut.
In DIE STUNDE DER SCHATTEN treffen wir auf zwei Frauenfiguren, die aus unterschiedlichen Lebensumständen heraus Schwäche und Verlust kennen, und aus beidem Hoffnung und Kraft schöpfen können.«
Das Gespräch führte Agnes Ejma aus dem dotbooks-Lektorat.
Alexandra von Grote ging in Paris zur Schule und machte dort das französische Abitur. Sie studierte in München und Wien Theaterwissenschaften und promovierte zum Dr. phil. Nach einer Tätigkeit als Fernsehspiel-Redakteurin im ZDF war sie Kulturreferentin in Berlin. Seit vielen Jahren ist sie als Filmregisseurin tätig. Sie schrieb zahlreiche Drehbücher, Gedichte, Erzählungen und Romane. Ihre Romanreihe mit dem Pariser Kommissar LaBréa wurde von der ARD/Degeto und teamWorx Filmproduktion verfilmt. Alexandra von Grote lebt in Berlin und Südfrankreich.
Mehr Informationen über Alexandra von Grote finden Sie auf ihrer Website: www.alexandra-vongrote.de/
Bei dotbooks erschienen bereits die Romane »Die Geschwindigkeit der Stille«, »Die Nacht von Lavara«, »Die Stunde der Schatten«, der Kriminalroman »Nichts ist für die Ewigkeit«, sowie die Provence-Krimi-Reihe um Florence Labelle: »Die unbekannte Dritte«, »Die Kälte des Herzens«, »Das Fest der Taube«, »Die Stille im 6. Stock«
Zudem veröffentlichte Alexandra von Grote bei dotbooks die Krimi-Reihe um Kommissar LaBréa: »Mord in der Rue St. Lazare«, »Tod an der Bastille«, »Todesträume am Montparnasse«, »Der letzte Walzer in Paris«, »Der tote Junge aus der Seine«, »Der lange Schatten«
Die ersten drei Fälle von Kommissar LaBréa liegen auch als Sammelband unter dem Titel »Mord in Paris« vor.
DIE STUNDE DER SCHATTEN von Alexandra von Grote – überall erhältlich, wo gute eBooks angeboten werden, und natürlich auch auf unserer WEBSITE, wo das eBook für Sie im Mobi-Format für den Kindle und als ePub für alle anderen Lesegeräte bereitsteht.