»Jeder von uns kann seine Stimme erheben, auf die eine oder andere Weise.«

13. August 2021
dotbooks

Ein Gespräch mit Jennifer B. Wind über brisante Thrillerthemen, lächelnde Autorinnen und ihren Bestseller ALS GOTT SCHLIEF.

Liebe Jennifer B. Wind, Sie sind so ein freundlicher, offener Mensch – wie kommt es, dass ausgerechnet Sie eiskalte Thriller schreiben, die uns Lesende bis in unsere Träume verfolgen?

Jennifer B. Wind: »Vielleicht genau deshalb!« (lacht) »Wer sagt eigentlich, dass eine Thrillerautorin nicht lächeln darf? Soweit ich weiß, lächelt auch Thrillerkönig Sebastian Fitzek sehr sympathisch in die Kamera – und der schreibt weitaus grausiger als ich. Ich habe sogar schon von einigen Leserinnen und Lesern gehört, dass meine Thriller zu unblutig sind … Jeder Mensch hat auch dunkle Seiten. Ich lebe meine gottlob nur in Buchform aus.« (lacht)

»Das Abgründige und Dunkle hat mich immer schon fasziniert – und die Frage, wie es passieren kann, dass ein Mensch plötzlich Grenzen überschreitet. In meinen Romanen gibt es daher keine Serienkiller, die einfach lustig drauflos morden, weil sie das personifizierte Böse sind, sondern Mörder, die durch Schicksalsschläge, schlimme Erlebnisse oder Traumata so handeln. Und das ist – so schrecklich es klingt – etwas, was uns allen passieren kann.

Um aber noch einmal auf die Frage zurückzukommen: Ich bin der Meinung, dass man über das Aussehen eines Menschen keine Rückschlüsse über seinen Charakter treffen kann. Trotzdem überrascht es uns oft, wenn ein Mord passiert – im Fernsehen sieht man dann, wie Nachbarn und Freunde interviewt werden, die alle angeben, dass es sich um einen sehr netten und freundlichen Menschen gehandelt hat und sie total schockiert sind über dessen Tat.

Genauso gibt es sicher Menschen, die vielleicht unsympathisch aussehen und in der Öffentlichkeit selten lächeln, aber total liebe und warmherzige Personen sind, was sie nur ausgewählten Menschen zeigen. Deswegen gilt auch bei Menschen: Don´t judge a book by its cover.«

In ALS GOTT SCHLIEF stellen Sie ein leider sehr reales Thema in den Mittelpunkt, das immer wieder die Nachrichten beherrscht – was hat Sie daran gereizt?

Jennifer B. Wind: »Es war mir eher ein Anliegen als ein Reiz, über den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu schreiben. Als ich Ende der 90er Jahre zum ersten Mal bewusst auf das Thema aufmerksam geworden bin, war vieles noch unter Verschluss und wurde unter dicke Teppiche gekehrt, die Opfer wurden im besten Fall als Lügnerinnen und Lügner bezichtigt oder öffentlich verhöhnt; einige bekamen Geld, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich fand – und finde – es einen Riesenskandal, und das hat dann zu ALS GOTT SCHLIEF geführt.

Mir war wichtig, dass die Opfer eine Stimme bekommen, sie gehört werden und im besten Fall endlich die Schuldigen verurteilt werden. Leider ist das auch heute noch schwierig, da viele Fälle ›verjährt‹ sind und in der Kirche nach wie vor Täterschutz wichtiger zu sein scheint als Opferschutz.

›Kein Missbrauch darf jemals mehr vertuscht werden, wie dies in der Vergangenheit üblich war‹, hat Papst Franziskus am Ende des vatikanischen Kinderschutzgipfels erklärt. Aber in der Realität fehlt der Kirche noch weitgehend die Einsicht, auch wenn in den letzten Jahren einiges passiert ist.

Natürlich ist ALS GOTT SCHLIEF ein Thriller, natürlich will ich mit ihm unterhalten, aber ich glaube, dass das ein soziales Engagement nicht ausschließt. Jeder von uns kann seine Stimme erheben, auf die eine oder andere Weise. Spannungsliteratur ist ein guter Weg, um Leserinnen und Leser auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen. Und deswegen ist mein Buch, das 2014 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, immer noch aktuell … und es gibt noch sehr viel zu tun in diesem Bereich. Und sei es nur dadurch, dass wir in diesem Interview darüber sprechen und es dann z.B. über Social Media verbreiten.«

Ihr Ermittlerduo Jutta Stern und Tom Neumann hat inzwischen viele Fans – was mögen Sie an den beiden?

Jennifer B. Wind: »Ich mag die beiden natürlich sehr, da sie mir nach dieser langen Zeit schon sehr ans Herz gewachsen sind, wie alte Freunde. Aber Tom ist mein absoluter Liebling. An ihm mag ich, dass er so klug und empathisch ist, Klavier spielt und viele Sprachen spricht, sowie ein Star-Trek-Fan ist und vieles mehr. Er ist damit (Überraschung!) der Charakter, der mir am ähnlichsten ist.« (lacht) »Aber Tom hat auch dunkle Seiten, wie jeder Mensch, die erst nach und nach ans Licht kommen.

Mit Jutta könnte ich manchmal wirklich streiten, weil sie vieles tut, das mich aufregt, vor allem, dass sie ihre Emotionen so zurückhält beziehungsweise versucht, keine Emotionen zu zeigen. Außerdem neigt sie dazu, Dinge zu verdrängen, was ihr immer wieder Probleme macht. Aber das ist ja auch gut: Meine Figuren sollen beim Lesen etwas auslösen, egal in welche Richtung, das müssen nicht immer positiv besetzte Emotionen sein, sondern kann auch Ärger, Frust, Wut, vielleicht sogar Ekel oder Traurigkeit sein. Ich freue mich darum genauso darüber, wenn Leserinnen und Leser schreiben, dass sie eine Figur nicht leiden können, wie wenn sie eine Figur lieben. Denn beides zeigt doch, dass meine Figuren authentisch sind. Auch im realen Leben mag man nicht jeden.

Wen ich übrigens auch sehr mag ist Georg, der ist ein toller Ausgleich zwischen Tom und Jutta, er ist sozusagen eine Vaterfigur, und das für beide. Und ich freue mich sehr, dass das Team schon so viele Fans hat. Ich kann es selbst kaum erwarten, weitere Fällen zu schreiben.«

Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.

Jennifer B. Wind, geboren in Leoben, lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern südlich von Wien. Die ehemalige Flugbegleiterin mit Gesangs-, Klavier- und Schauspielausbildung schreibt heute unter anderem sehr erfolgreich Thriller, Romane und Drehbücher, für die sie mehrfach ausgezeichnet und von Kritik und Leserschaft gleichermaßen gefeiert wird. Jennifer B. Wind ist als Jurymitglied für verschiedene Literaturpreise aktiv und sorgt mit ihrer One-Woman-Krimi-Show für vollbesetzte Säle. In ihrer Freizeit engagiert sie sich aktiv im Tier- und Umweltschutz, in diversen Kulturvereinen und in der Gewaltprävention gegen Kinder und Frauen.

Mehr Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Website www.jennifer-b-wind.com sowie bei Facebook (www.facebook.com/jennifer.wind) und Instagram (www.instagram.com/jenniferb.wind).

Bei dotbooks veröffentlichte Jennifer B. Wind die Thriller »Als Gott schlief« und »Wenn der Teufel erwacht«; weitere Titel sind in Vorbereitung.