»Manchmal braucht es gar nicht so viel, um die dunkle Seite im Menschen an die Oberfläche zu holen.«

15. November 2019
dotbooks

Ein Gespräch mit unserer Autorin Cordula Hamann über außergewöhnliche Laien-Ermittler und die Versatzstücke, die ihren abgründigen Thriller WO DIE ANGST LAUERT so greifbar und real machen.

Liebe Frau Hamann, was hat Sie zu Ihrem Thriller WO DIE ANGST LAUERT inspiriert?

Cordula Hamann: »Mich fasziniert seit jeher die Vorstellung, wie es ist, wenn eine Person, die normalerweise mit Verbrechen nichts zu tut hat, in ein gefährliches und/oder kriminelles Geschehen hineingezogen wird: Wie würde ich selbst oder meine direkten Mitmenschen in einer solchen Situation handeln? Das ist auch der Grund, warum ich in meinen Thrillern grundsätzlich gerne auf berufliche Ermittler als Hauptfiguren verzichte. Bei WO DIE ANGST LAUERT wurde ich von einer Meldung aus dem winterlichen Österreich inspiriert, wo nach einem Lawinenabgang ein Ort eine Weile von der Außenwelt abgeschnitten war. Ein perfektes Setting für die weitere Geschichte, die ich dann dazu entwickelt habe.«

Ihr Thriller spielt in einem abgelegenen Dorf mit kauzigen Dorfbewohnern, die jede Menge dunkle Geheimnisse hüten. Was hat Sie daran gereizt?

Cordula Hamann: »Ich glaube, es ist zum einen die völlig unerwartete Situation der im Dorf Gestrandeten, die per se schon irgendwie unheimlich für sie – und damit auch für die Leser und Leserinnen – ist: Das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein, die man aus eigener Kraft nur bedingt beeinflussen kann.

Zum anderen ist plötzlich ein ganzes Dorf bedroht. Das bringt die alteingesessene Gemeinschaft so durcheinander, dass hier einiges aufbricht.

Die Leser denken zunächst natürlich in erster Linie an die Bedrohung durch den entkommenen Mörder. Doch rasch erfahren sie, dass da noch viel mehr Geheimnisse und Gefahren in diesem Dorf lauern.«

In Ihrem Thriller muss die Polizistin Claudia die Jagd nach dem Täter notgedrungen an eine Zivilistin abtreten. Was hat Sie auf die Idee gebracht, die Ermittlungsarbeit unter diesen beiden starken Figuren aufzusplitten?

Cordula Hamann: »Meine Hauptprotagonistin, die Studentin Katja, ist leidenschaftliche Krimileserin. Als sie auf eine ›echte‹ Polizistin trifft, verspürt sie sofort das Bedürfnis, bei den Ermittlungen mitzumischen. Aber das wird ihr von Claudia nicht leicht gemacht: Sie ist schroff und unhöflich. Doch genau damit fordert sie Katjas Widerspruch heraus, der sich aber auch ein wenig mit Mitgefühl mischt. Schließlich ist Claudia verletzt, hat ihren Kollegen verloren und Katja kann sich gut vorstellen, wie überfordert sich die Polizistin fühlen muss.

Bei Claudia ist es umgekehrt: Sie ist zunächst nur von der Einmischung eines Laien genervt. Aber mehr und mehr erkennt sie Katjas Hartnäckigkeit an und lernt, ihre Hilfe anzunehmen. Zwei starke Frauen, die sich in der vorliegenden Situation hervorragend ergänzen und zur Bereicherung der jeweils anderen beitragen. Beide Frauen entwickeln sich durch die Ereignisse und ihre Zusammenarbeit entscheidend weiter, obwohl insgesamt nur drei Tage vergehen. Aber diese 72 Stunden haben es in sich und stellen beide Frauen vor außergewöhnliche Herausforderungen, sowohl tatsächliche als auch emotionale.«

Die Studentin Katja Reichenberger beginnt auf eigene Faust, Nachforschungen zu einem brutalen Serienmörder anzustellen, und setzt sich selbst der Gefahr aus. Wie würden Sie an ihrer Stelle handeln?

Cordula Hamann: »Natürlich ist es eine reizvolle Fantasie, selbst zur Ermittlerin zu werden, aber in der Realität würde ich nicht so mutig vorpreschen wie Katja und schon gar nicht alleine durch den Schnee spazieren, sondern mich – in einer vergleichbaren Situation wie der, die ich in WO DIE ANGST LAUERT schildere – auf die Erfahrung der Polizistin verlassen und ihre Anweisungen befolgen. In meinem Thriller wird die Situation für Katja noch ein bisschen brisanter, weil sie sehr rasch mitbekommt, dass Claudia beim Verfolgen von Mördern wie sie selbst auch über keinerlei Erfahrungen verfügt. So entsteht eine Fallhöhe für beide Figuren, die für mich beim Schreiben und jetzt auch für meine Leser höchst spannend war und ist.«

Haben Sie eine Lieblingsszene in Ihrem Thriller?

Cordula Hamann: »Ich weiß nicht, ob ›Lieblingsszene‹ das richtige Wort ist, aber ich denke spontan an eine, die ich zum einen als sehr gelungen empfinde und die zum anderen auch beim Schreiben eine wirkliche Herausforderung darstellte: Das Zusammensein der 16-jährigen Leah mit den beiden Männern Rupert, einem der Dorfbewohner, und Thomas Bach, dem verurteilten Mehrfachmörder, in der Hütte im Wald. Bis dahin hat der Leser wie Katja und Claudia keine direkten Berührungen mit den ›Bösen‹ in der Geschichte erlebt. Nun ist der Leser gezwungen, sich mit dem Verhalten beider Männer auseinanderzusetzen. Er wird damit konfrontiert, ob er will oder nicht, ähnlich wie das Mädchen Leah. Die gesamte Vielfalt der beiden Persönlichkeiten und ihres jeweiligen Handlungsantriebs wird deutlich und führt damit nicht einfach nur zu Abscheu, Verurteilung und Ablehnung dieser Figuren, sondern zeigt, was meiner Meinung nach immer gilt: Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, Richtig und Falsch, Gut und Schlecht. Der Mensch ist immer eine hochkomplexe Mischung aus allem. Manchmal braucht es gar nicht so viel, um die dunkle Seite im Menschen an die Oberfläche zu holen. Und nicht immer ist es eine Frage von Schuld.«

Was ist das Besondere an Ihrem neuen Roman, das die Leser am meisten faszinieren wird?

Cordula Hamann: »Krimi und Thriller kommen nicht ohne Mörder bzw. Kriminelle aus. Die Leser mögen diese Geschichten und kaufen Bücher gerade wegen dieser Elemente. Deshalb gibt es selbstverständlich auch bei mir eine Leiche und einen Mörder. Aber die Tatsache, als Leser nicht in eine völlig fremde, seinem eigenen Leben nicht zugängliche Welt eintreten zu müssen, um den Protagonisten folgen zu können, sondern etwas miterleben zu dürfen, das ihnen mit ein wenig Pech (oder Glück, je nachdem, wie man es nimmt) selbst passieren könnte, birgt ein hohes Maß an Identifikationsfläche. Die Handlung spielt sich in einem Setting ab, das der Leser gut kennt. Dadurch werden die Geschehnisse für ihn greifbar, was ihn erst recht mitfiebern lässt. Er stellt sich unweigerlich die Frage, wie er selbst in der Geschichte gehandelt hätte.

Mir ist es außerdem wichtig, zu zeigen, dass Spannung tiefgründiger und nachhaltiger erzeugt werden kann, als die Gänsehaut, die durch Blutbäder, Gewaltexzesse und Voyeurismus quasi zwingend ausgelöst wird. Und das ist letztendlich befriedigender für jeden Leser.«

Dieses Gespräch wurde geführt von Ann-Katrin Schuler aus dem dotbooks-Lektorat.

Cordula Hamann, geboren 1959 in Hannover, arbeitete nach einer juristischen Ausbildung lange als Unternehmerin im Immobilienbereich, bevor sie begann, Thriller zu schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie abwechselnd in Berlin und Spanien.

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