»Natürlich könnte ich reine Unterhaltungsbücher schreiben, aber das wäre mir viel zu langweilig.«
Ein Gespräch mit Jennifer B. Wind über Bücher, die keine Weichspülversion sind, über wichtige politische Themen und ihre Thriller ALS GOTT SCHLIEF und WENN DER TEUFEL ERWACHT.
Liebe Jennifer B. Wind, Sie sind so ein freundlicher, offener Mensch – wie kommt es, dass ausgerechnet Sie eiskalte Thriller schreiben, die uns Lesende bis in unsere Träume verfolgen?
Jennifer B. Wind: »Vielleicht genau deshalb!« (lacht) »Wer sagt eigentlich, dass eine Thrillerautorin nicht lächeln darf? Soweit ich weiß, lächelt auch Thrillerkönig Sebastian Fitzek sehr sympathisch in die Kamera – und der schreibt weitaus grausiger als ich. Ich habe sogar schon von einigen Leser/innen gehört, dass meine Thriller zu unblutig sind …Jeder Mensch hat auch dunkle Seiten. Ich lebe meine gottlob nur in Buchform aus.« (lacht)
»Das Abgründige und Dunkle hat mich immer schon fasziniert – und die Frage, wie es passieren kann, dass ein Mensch plötzlich Grenzen überschreitet. In meinen Romanen gibt es daher keine Serienkiller, die einfach lustig drauflos morden, weil sie das personifizierte Böse sind, sondern Mörder, die durch Schicksalsschläge, schlimme Erlebnisse oder Traumata so handeln. Und das ist – so schrecklich es klingt – etwas, was uns allen passieren kann.
Um aber noch einmal auf die Frage zurückzukommen: Ich bin der Meinung, dass man über das Aussehen eines Menschen keine Rückschlüsse über seinen Charakter treffen kann. Trotzdem überrascht es uns oft, wenn ein Mord passiert – im Fernsehen sieht man dann, wie Nachbarn und Freunde interviewt werden, die alle angeben, dass es sich um einen sehr netten und freundlichen Menschen gehandelt hat und sie total schockiert sind über dessen Tat.
Genauso gibt es sicher Menschen, die vielleicht unsympathisch aussehen und in der Öffentlichkeit selten lächeln, aber total liebe und warmherzige Personen sind, was sie nur ausgewählten Menschen zeigen. Deswegen gilt auch bei Menschen: Don´t judge a book by its cover.«
In ALS GOTT SCHLIEF stellen Sie ein leider sehr reales Thema in den Mittelpunkt, das immer wieder die Nachrichten beherrscht – was hat Sie daran gereizt?
Jennifer B. Wind: »Es war mir eher ein Anliegen als ein Reiz, über den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche zu schreiben. Als ich Ende der 90er Jahre zum ersten Mal bewusst auf das Thema aufmerksam geworden bin, war vieles noch unter Verschluss und wurde unter dicke Teppiche gekehrt, die Opfer wurden im besten Fall als Lügnerinnen und Lügner bezichtigt oder öffentlich verhöhnt; einige bekamen Geld, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich fand – und finde – es einen Riesenskandal, und das hat dann zu ALS GOTT SCHLIEF geführt. Mir war wichtig, dass die Opfer eine Stimme bekommen, sie gehört werden und im besten Fall endlich die Schuldigen verurteilt werden. Leider ist das auch heute noch schwierig, da viele Fälle ›verjährt‹ sind und in der Kirche nach wie vor Täterschutz wichtiger zu sein scheint als Opferschutz.
›Kein Missbrauch darf jemals mehr vertuscht werden, wie dies in der Vergangenheit üblich war‹, hat Papst Franziskus am Ende des vatikanischen Kinderschutzgipfels erklärt. Aber in der Realität fehlt der Kirche noch weitgehend die Einsicht, auch wenn in den letzten Jahren einiges passiert ist.
Natürlich ist ALS GOTT SCHLIEF ein Thriller, natürlich will ich mit ihm unterhalten, aber ich glaube, dass das ein soziales Engagement nicht ausschließt. Jeder von uns kann seine Stimme erheben, auf die eine oder andere Weise. Spannungsliteratur ist ein guter Weg, um Leserinnen und Leser auf ein wichtiges Thema aufmerksam zu machen. Und deswegen ist mein Buch, das 2014 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, immer noch aktuell … und es gibt noch sehr viel zu tun in diesem Bereich. Und sei es nur dadurch, dass wir in diesem Interview darüber sprechen und es dann z.B. über Social Media verbreiten.«
Auch WENN DER TEUFEL ERWACHT hat einen sehr realen Hintergrund – warum ist es Ihnen wichtig, mit Ihrem Thriller darauf hinzuweisen?
Jennifer B. Wind: »Als ich den zweiten Band geplottet und zu schreiben begonnen habe, lag der Fokus auf Afrika und afrikanischen Flüchtlingen. 2015 hat das Thema Asyl dann aufgrund der Syrienkrise ganz stark polarisiert und war das große Thema in den Medien. Was mich daran besonders schockiert hat, war zum einen die Tatsache, wie viele verschiedene Vorurteile bzw. Lügen gestreut wurden – und zum anderen, dass das, was ich mir in der Sicherheit meiner Wohnung ausgedacht habe, kurze Zeit später erschütternd real wurde. Sie erinnern sich sicher noch an den Fund der Flüchtlinge in einem Kühllaster? In WENN DER TEUFEL ERWACHT spiele ich auch mit diesem Schreckensszenario, aber ich habe es lange geschrieben, bevor es tatsächlich passierte.
Das Thema polarisiert heute noch genauso wie damals. Ich habe sehr viel recherchiert und auch sehr genau. Mir war wichtig, neben meiner Spannungshandlung völlig neutral aufzuzeigen, was passiert ist beziehungsweise was passieren könnte. Und zwar aus der Sicht von allen Seiten, ohne Stellung zu nehmen und ohne erhobenen Zeigefinger. Mein Buch ist keine Weichspülversion, sondern zeigt ungeschönt die Wahrheit – beziehungsweise: Wahrheiten. Denn wie bei vielem gibt es auch hier nicht nur schwarz und weiß, sondern zahlreiche Graustufen dazwischen.
Ich habe ja gerade schon gesagt, dass ich es wichtig finde, meine Leserinnen und Leser mit Themen in Berührung zu bringen, die sie vielleicht gar nicht erwarten in einem Thriller. Ein schönes Erlebnis war, als jemand zu einer Lesung kam und gesagt hat, dass ihm erst durch WENN DER TEUFEL ERWACHT klar geworden ist, dass er Vorurteile hat, von denen er dachte, dass er sie gar nicht hätte. Und was mich als Autorin besonders berührt hat, war bei einer anderen Lesung ein Mann aus Syrien, der ein selbst verfasstes Gedicht mitbrachte, das ich dann für ihn vorgelesen habe.«
Gibt es vielleicht auch Leserinnen und Leser, die sich wünschen würden, dass Sie diesen politischen Anspruch ablegen und nur noch reine Unterhaltung schreiben würden?
Jennifer B. Wind: »Natürlich könnte ich reine Unterhaltungsbücher schreiben, aber das wäre mir viel zu langweilig.« (lacht)
»Ich möchte Bücher schreiben, die zwar unterhalten, auch gern zum Lachen und Weinen bringen, aber vor allem etwas in meinen Leserinnen und Lesern bewirken, sie zum Nachdenken sowie zur Diskussion anregen und vielleicht auch zum Handeln. Bücher, die auch nach Jahren noch gelesen werden können und die man nicht einfach so ins Regal stellt und vergisst. Es ist mir klar, dass solche Bücher auch polarisieren können, aber damit komme ich klar.
Mir ist wichtig, dass ich hundertprozentig hinter meinen Büchern stehen kann. Als Autorin verbringe ich viel Zeit mit meinen Büchern, nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Überarbeiten und später bei Lesungen. Deshalb schreibe ich die Bücher, die ich selbst gerne lesen würde.«
Ihr Ermittlerduo Jutta Stern und Tom Neumann hat inzwischen viele Fans – was mögen Sie an den beiden?
Jennifer B. Wind: »Ich mag die beiden natürlich sehr, da sie mir nach dieser langen Zeit schon sehr ans Herz gewachsen sind, wie alte Freunde. Aber Tom ist mein absoluter Liebling. An ihm mag ich, dass er so klug und empathisch ist, Klavier spielt und viele Sprachen spricht, sowie ein Star-Trek-Fan ist und vieles mehr. Er ist damit (Überraschung!) der Charakter, der mir am ähnlichsten ist.« (lacht) »Aber Tom hat auch dunkle Seiten, wie jeder Mensch, die erst nach und nach ans Licht kommen.
Mit Jutta könnte ich manchmal wirklich streiten, weil sie vieles tut, das mich aufregt, vor allem, dass sie ihre Emotionen so zurückhält beziehungsweise versucht, keine Emotionen zu zeigen. Außerdem neigt sie dazu, Dinge zu verdrängen, was ihr immer wieder Probleme macht. Aber das ist ja auch gut: Meine Figuren sollen beim Lesen etwas auslösen, egal in welche Richtung, das müssen nicht immer positiv besetzte Emotionen sein, sondern kann auch Ärger, Frust, Wut, vielleicht sogar Ekel oder Traurigkeit sein. Ich freue mich darum genauso darüber, wenn Leserinnen und Leser schreiben, dass sie eine Figur nicht leiden können, wie wenn sie eine Figur lieben. Denn beides zeigt doch, dass meine Figuren authentisch sind. Auch im realen Leben mag man nicht jeden.
Wen ich übrigens auch sehr mag ist Georg, der ist ein toller Ausgleich zwischen Tom und Jutta, er ist sozusagen eine Vaterfigur, und das für beide. Und ich freue mich sehr, dass das Team schon so viele Fans hat. Ich kann es selbst kaum erwarten, weitere Fällen zu schreiben.«
Welche Leserinnen und Leser wünschen Sie sich für Ihre Thriller?
Jennifer B. Wind: »Wie jede Autorin wünsche ich mir selbstverständlich, dass viele Leserinnen und Leser meine Bücher entdecken, lesen und im besten Falle mögen. Aber ich weiß auch, dass jeder Mensch einen anderen Geschmack hat beziehungsweise nicht mit jedem Genre oder Thema klarkommt.
Wichtig ist, dass man Thriller und Krimis mag und im besten Fall auch ein Fan von True Crime ist, denn die Serie mit Jutta und Tom ist eben sehr an die Realität angelehnt. Menschen, die gern über ihren Tellerrand hinausschauen und Bücher lieben, die nachhallen und brisante Themen aufgreifen, werden meine Thriller lieben. Wer allerdings selbst mit unbehandelten Traumata kämpft, sollte sie vielleicht mit Vorsicht genießen, denn ich behandle Themen, die diese Menschen triggern könnten.
So oder so freue ich mich über jede Leserin und jeden Leser und trete auch sehr gern in den Dialog, zum Beispiel bei Leserunden oder auf Buchmessen. Man kann mir auch sehr gern per Mail oder via Social Media schreiben. Als Autorin verstehe ich mich als Kommunikatorin – und sicher auch als Entertainerin, ich stehe ja auch immer wieder auf der Bühne und freue mich über den direkten Kontakt.«
Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.
Jennifer B. Wind, geboren in Leoben, lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern südlich von Wien. Die ehemalige Flugbegleiterin mit Gesangs-, Klavier- und Schauspielausbildung schreibt heute unter anderem sehr erfolgreich Thriller, Romane und Drehbücher, für die sie mehrfach ausgezeichnet und von Kritik und Leserschaft gleichermaßen gefeiert wird. Jennifer B. Wind ist als Jurymitglied für verschiedene Literaturpreise aktiv und sorgt mit ihrer One-Woman-Krimi-Show für vollbesetzte Säle. In ihrer Freizeit engagiert sie sich aktiv im Tier- und Umweltschutz, in diversen Kulturvereinen und in der Gewaltprävention gegen Kinder und Frauen.
Mehr Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Website www.jennifer-b-wind.com sowie bei Facebook (www.facebook.com/jennifer.wind) und Instagram (www.instagram.com/jenniferb.wind).
Bei dotbooks veröffentlichte Jennifer B. Wind die Thriller »Als Gott schlief« und »Wenn der Teufel erwacht«; weitere Titel sind in Vorbereitung.