»Oft gehen Menschen gestärkt aus ausweglosen Situationen hervor.«

4. September 2020
dotbooks

Ein Gespräch mit der Krimiautorin Katrin Jäger über das Leben in der Provinz, andere Inspirationen und ihre Serie rund um die Journalistin Viktoria Latell.

Was hat Sie zur Figur der Viktoria Latell inspiriert?

Katrin Jäger: »Mein eigener verrückter Job als Reporterin bei der Boulevardzeitung B.Z. hat mich dazu inspiriert, eine Hauptperson zu erschaffen, die einen ähnlichen Job hat. Es gibt ein paar deutliche Unterschiede zwischen uns: Da ich selbst nicht so lange Beine habe, war es mir ein Vergnügen, Viktoria damit zu segnen; während sie äußerlich recht hart und rau wirkt, bin ich eher ein Mensch, der lachend durchs Leben geht. Viktoria ist eine Figur, die schnell eine Eigendynamik entwickelt hat. Sie kann ganz schön arrogant erscheinen. Aber wenn meine Leserinnen und Leser sie erst einmal kennenlernen, dann wissen sie, wie das gemeint ist. «

Ihre Berliner Ermittlerin deckt Verbrechen in der westfälischen Provinz auf – trotzdem haben Sie keinen »heiteren Provinzkrimi« geschrieben wie so viele andere Autoren. Warum nicht?

Katrin Jäger: »Ich liebe das Leben und die Leute hier in meinem kleinen westfälischen Dorf, in das ich ganz freiwillig nach einigen Jahren Berlin zurückgekehrt bin. Doch bei uns geht es ganz und gar nicht immer nur heiter zu: Warum sollte ich also ausgerechnet in einem Kriminalroman so tun, als ob das so wäre? Natürlich gibt es auch humorvolle Stellen in meinen Büchern, die sich einfach aus den Personen oder Situationen ergeben. Manchmal bleibt einem aber das Lachen im Halse stecken. Ich mag diese Fallhöhe.«

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem ersten Krimi rund um Viktoria Latell gekommen, SCHÜTZENKÖNIG … war es das Bild einer Ratte, das eine zentrale Rolle zu Beginn des Romans spielt?

Katrin Jäger: »Nein, die kam später angeschlichen. Dass unser dörfliches Wappentier hier tatsächlich ein Biber ist, der einer Ratte ähnlich sieht, kam mir erst bei der Entwicklung des Plots und den Recherchen zum Buch wieder in den Sinn … Die Deutsche Bahn ist eigentlich schuld – und Miss Marple. Weil ich in meiner Berlinzeit manchmal mit dem Zug nach Hause gefahren bin, fiel mir immer diese Mordszene aus dem Klassiker ›16.50 Uhr ab Paddington‹ ein, in der Miss Marple aus einem Zug heraus ein Verbrechen beobachtet. Also kam ich auf die Idee, meine Heldin mit der Bahn von Berlin in die Provinz zu schicken. Außerdem war es mir wichtig, die ›Stadtpflanze‹ Viktoria mit dem Landleben zu konfrontieren … und mit ihrer eigenen Vergangenheit. Aber mehr wird hier natürlich nicht verraten!«

Sie erzählen auch im zweiten Band der Serie, FUCHSBEUTE, wieder mehr als eine einfache Kriminalgeschichte – in Ihrer Serie geht es immer um psychologische Abgründe. Was reizt Sie daran, diese zu erkunden?

Katrin Jäger: »Es gibt doch nichts Spannenderes, als sich zu fragen, warum jemand etwas tut. Mir geht es sogar so, wenn ich sehe, dass jemand seinen Müll in die Landschaft schmeißt: Ich rege mich darüber auf, aber was mich viel mehr beschäftigt ist die Frage, warum tut jemand so etwas Bescheuertes? Und – der zweite Grund – ich glaube einfach nicht, dass die Menschen sich in Gut und Böse aufteilen lassen. Irgendwas muss passieren, schieflaufen oder offengelegt werden, damit das Böse die Oberhand gewinnt und etwas Schreckliches geschieht. Darüber schreibe ich.«

Im dritten Krimi der Serie, JAGDGRUND, wartet ein besonderer Schicksalsschlag auf Viktoria. Steckt in Ihnen eine kleine Sadistin, die es mag, ihre Figuren zu quälen?

Katrin Jäger: »Im Gegenteil: Ich habe sogar geheult, als ich die Druckfahnen gelesen habe. Aber es gibt Dinge, die kann niemand verhindern, die passieren. Auch mit Romanfiguren. Was ich an dem Thema Schicksalsschlag so faszinierend finde, ist, dass die meisten Menschen, denen schon einmal etwas wirklich Schlimmes passiert ist, oft gestärkt aus dieser scheinbar ausweglosen Situation hervorgehen – während andere, für die das Leben wie ein Ponyhof läuft, den ganzen Tag über Kleinigkeiten jammern. Aber das würde nicht zu meiner Hauptfigur passen … und auch nicht zu meinen Leserinnen und Lesern.«

Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.

Über die Autorin:

Katrin Jäger, geboren 1970 in Münster, studierte Publizistik, volontierte an der Berliner Journalisten-Schule und arbeitete danach als Reporterin, Redakteurin und stellvertretende Ressortleiterin bei Berlins größter Zeitung. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Münster. Mehr Informationen über Katrin Jäger finden sich auf ihrer Website: www.katrinjaeger.netBei dotbooks veröffentlichte Katrin Jäger die drei Kriminalromane rund um die Journalistin Viktoria Latell SCHÜTZENKÖNIG, FUCHSBEUTE und JAGDGRUND sowie den Jugendroman INSELMELODIE.