»Vieles von dem, was Generationen vor uns geschehen ist, bestimmt immer noch unsere Gegenwart.«
Ein Gespräch mit der Autorin Henrike Heiland über ihre Liebe zu Rostock, ihr Ermittlerduo und ihre Kriminalromane SPÄTE RACHE, DUNKLE SPUR und ALTE SÜNDEN.
Liebe Henrike, in deinen Krimis treffen zwei sehr unterschiedliche Ermittler aufeinander: Erik Kemper ist ein Kommissar alter Schule, die Kriminalpsychologin Anne Wahlberg dagegen vertraut ihrer fast schon übersinnlichen Intuition. Was hat dich an diesen Gegensätzen gereizt … und welche der Figuren ist dir näher?
Henrike Heiland: »Kemper und Wahlberg sind mir beide nah, und natürlich habe ich ihnen etwas von mir mit auf den Weg gegeben. Vor allem kommen sie, was den Handlungsort angeht, beide von außen und müssen sich erst an Rostock und Umgebung gewöhnen, die Menschen dort kennenlernen. Kemper und Wahlberg sind beide in der BRD, in Westdeutschland geboren, sie sind mit einer anderen Sicht auf den Osten Deutschlands aufgewachsen und kennen sich mit vielem schlichtweg nicht aus. Das war für mich als Autorin sehr reizvoll, weil Rostock eine großartige Stadt ist und ich sie gemeinsam mit meinen Figuren noch einmal neu entdecken konnte. Dass Kemper und Wahlberg so unterschiedlich sind, ist im Grunde der Überlegung geschuldet, dass Ermittlungsarbeit Teamarbeit ist und da viele verschiedene Ansätze zusammenspielen, um erfolgreich zu sein. Aber auch hier spielt mein Vergnügen als Autorin eine Rolle: Wenn es kracht zwischen den Figuren, macht das Schreiben doppelt Spaß, und das überträgt sich dann natürlich auch auf die Leserinnen und Leser.«
In deinen Krimis haben es die Ermittler stets mit Verbrechen zu tun, deren Wurzeln in die Vergangenheit zurückreichen – und die dadurch viel komplexer sind, als es zunächst scheint. Du machst es dir wohl nicht gerne leicht, oder?
Henrike Heiland: »Nein, leicht machen ist keine Option!« (lacht) »Ich bringe in meine Romane gern Sachen und Themen ein, für die ich mich selbst interessiere. Und ich recherchiere sehr gern. Außerdem bestimmt nach wie vor vieles, was Generationen vor uns geschehen ist, unsere Gegenwart – ganz egal, ob es nun um die Deutsch-Deutsche-Geschichte geht oder die Zeit davor. Ich wollte keine einfachen Beziehungstaten in den Mittelpunkt stellen, von denen gibt es wirklich schon genug im Spannungsgenre, und dafür wäre Rostock als Handlungsort verschenkt gewesen. In meinen Kemper-und-Wahlberg-Krimis wollte ich Geschichten erzählen, die einen tieferen Bezug zu der Gegend haben und zu den Figuren mit ihren Backstorys. Klar ist das eine Herausforderung – aber ich will meinem Publikum ja auch etwas bieten.«
Viele deutsche Kriminalromane spielen entweder in der Provinz oder in der Großstadt – du siedelst die Fälle für das Ermittlerduo Kemper und Wahlberg in Rostock und Umgebung an. Warum?
Henrike Heiland: »Oh, das war zuerst einmal gar nicht meine Entscheidung – damals hieß es von Seiten der Verlage: ›Krimis in Großstädten funktionieren nicht!‹ Ich wohnte in München und überlegte mir, in welcher Gegend ich gern recherchieren würde. Kurz vorher war ich zum ersten Mal in Rostock gewesen und von dieser Stadt vollkommen fasziniert. Also entschied ich mich für sie, schließlich gab mir das die Möglichkeit, sie sofort wieder zu besuchen. Ein klein wenig habe ich mich damit an den Verlagswünschen vorbeigeschummelt, denn Rostock ist natürlich eine Großstadt, nur eben keine Millionenstadt. In Rostock gibt es eine Universität, Rostock ist als Hanse- und Hafenstadt sehr lebendig und hat nicht nur eine spannende Vergangenheit, sondern auch eine spannende Gegenwart. Ich habe mich dort immer sehr wohl gefühlt, und von den Menschen, die ich dort und auf Usedom kennengelernt habe, bin ich mit einigen noch eng verbunden, sie waren und sind für mein Leben sehr wichtig. Die Frage müsste eigentlich lauten: Warum siedeln eigentlich nicht viel mehr Krimiautorinnen und -autoren ihre Bücher in Rostock an?«
Du hast diese Krimis zu Beginn deiner Karriere geschrieben – heute bist du für Thriller bekannt, die sich von den engen Genregrenzen verabschiedet haben. Wie blickst du auf deine Anfänge zurück?
Henrike Heiland: »Für mich war diese Trilogie ein entscheidender beruflicher Wechsel – der Schritt aus der Film- in die Buchbranche, der Schritt, selbst kreativ zu sein und eigene Welten zu erschaffen. Seitdem habe ich unheimlich viel dazugelernt, aber für die Gelegenheit, die Trilogie zu schreiben, bin ich unendlich dankbar! Vielleicht würde ich heute anders über die beiden Ermittler Erik Kemper und Anne Wahlberg schreiben, einfach weil sich mein Blick auf die Welt geändert hat … vielleicht aber auch nicht. Denn die beiden sind immer noch sympathisch und haben genau die richtigen Reibungspunkte. Für mich ist es fast so, als würde ich alten Freunden wiederbegegnen, und ich freue mich, sie nun neuen Leserinnen und Lesern vorstellen zu können.«
Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.
Henrike Heiland, geboren 1975 in Hessen, studierte deutsche und englische Literatur. Danach arbeitete sie zunächst als TV-Producerin und Drehbuchautorin; heute ist sie unter dem Namen Zoë Beck als Schriftstellerin, Übersetzerin und Synchronregisseurin sowie als Verlegerin des Verlags culturbooks erfolgreich. Auf Lesereisen lieh sie internationalen Bestsellerautorinnen wie Denise Mina, Val McDermid und Louise Welsh ihre Stimme. Die vielfach preisgekrönte Autorin – unter anderem erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis und den Deutschen Krimipreis – ist außerdem Mitinitiatorin des Aktionsbündnisses #verlagegegenrechts.
Die Autorin im Internet (unter dem Namen Zoë Beck): https://zoebeck.blog/
Bei dotbooks erschienen die drei unter den Namen Henrike Heiland veröffentlichten Kriminalromane um die Ermittler Erik Kemper und Dr. Anne Wahlberg: »Späte Rache«, »Dunkle Spur« und »Alte Sünden«.