Viola Alvarez im Interview
„Ich erlebe es aber sehr oft, dass die Gegenwart Themen wieder aufnimmt, die scheinbar unbekannt oder irrelevant in der Vergangenheit liegen.“
Ein Gespräch mit unserer Autorin Viola Alvarez über unerzählte Geschichten der Vergangenheit, schwierige Liebesgeschichten und ihren Roman DAS FLÜSTERN DES GLÜCKS.
„Wie auch EIN TAG, EIN JAHR, EIN LEBEN spielt Ihr neuer Roman DAS FLÜSTERN DES GLÜCKS auf mehreren Zeitebenen. Was reizt Sie als Autorin daran?“
Viola Alvarez: „Es ist ein Spiel mit Ursache und Wirkung. Wir sehen die Gegenwart und versuchen auch oft, sie aus den Faktoren der augenblicklichen Dimension heraus zu erklären. Ich erlebe es aber sehr oft, dass die Gegenwart Themen wieder aufnimmt, die scheinbar unbekannt oder irrelevant in der Vergangenheit liegen. In DAS FLÜSTERN DES GLÜCKS ist Louisas ganzes Leben, in ihren Errungenschaften wie in ihren Problemen, von Ereignissen bestimmt, die bis zu 50 Jahre vor ihrer Geburt stattfanden. Sie weiß nichts von diesen Ereignissen, aber sie spürt sie. Und sie reagiert darauf.“
„Was bewegt Sie an der schwierigen Liebesgeschichte zwischen Louisa und Mark?“
Viola Alvarez: „Von außen betrachtet, wären Louisa und Mark ein sogenanntes Power-Paar: erfolgreiche Ärzte, gutaussehend, fit, wirtschaftlich solvent. Wenn man diese Attribute der gegenwärtigen Erfolgskultur einmal entfernt, sind sie jedoch zwei Menschen, die sich einst wirklich ineinander verliebt haben, sich auch lange liebten, dann aber aus Unachtsamkeit, Überforderung, Egozentrik und Hilflosigkeit diese Liebe Stück für Stück verloren.
Das ist für mich das Interessante: dass wir zwei Menschen erleben, die sich entscheiden müssen, ob sie sich nach dem richten, was leicht wäre – Trennung, nurmehr ein ,Ich‘ zu sein –, oder ob sie auf das hören, was sie tief im Inneren definiert, nämlich ihre Liebe zueinander, ein geradezu zwingendes ,Wir‘. Für Louisa ist das vor dem Hintergrund ihrer komplizierten Familiengeschichte eine geradezu existenzielle Frage.“
„Gibt es Szenen in Ihrem Roman DAS FLÜSTERN DES GLÜCKS oder auch Schreibsituationen, an die Sie sich besonders gerne erinnern?“
Viola Alvarez: „Ich liebe die Szenen des alten Wesel, die Läden und die Schwätzchen am Markt, die Feuerwehrleute und die Sangesbrüder. Aber auch dieses eng verwobene Netz aus Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Gerade das Misstrauen der ,Evangelen‘ gegenüber den ,Katholen‘ – damals ja oft tragisch – hat heute etwas Satirisch-Humoristisches. Meine Großmutter – die nicht das Vorbild für Henni war, wirklich und wahrhaftig nicht – kam aus Wesel (Sie ist allerdings deutlich früher geboren als Hilde oder Henni). Wann immer eine Unterhaltung sich auf eine Person von unangemessenem Verhalten konzentrierte, war das ihre erste Frage: ,Ess datt ene Kathole?‘ Und überhaupt das ,Geschichtenerzählen‘ der Frauen dieses Romans, so eine reiche Kommunikationskultur – diese Dialoge zu schreiben habe ich sehr genossen.“
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