»Was eine Gesellschaft nicht ist, bildet sich oft in dem ab, was von Frauen erwartet wird.«

25. August 2023
dotbooks

Ein Gespräch mit unserer Autorin Viola Alvarez über Ihren Roman EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN, die Widerstände, gegen die selbstbestimmte Frauen in den 50er Jahren ankämpfen mussten – und wie wir daraus trotzdem Mut für unsere Gegenwart gewinnen können.

Liebe Frau Alvarez, in EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN schreiben Sie über einen Skandalprozess in den 50er Jahren, der seine Schatten bis in die Gegenwart wirft – was hat Sie an dieser Geschichte fasziniert?

Viola Alvarez: »Die Vergangenheit wird oft idealisiert. Die 50er Jahre haben uns eine bemerkenswerte Ikonographie hinterlassen: Die Aufbruchstimmung nach dem Wiederaufbau, eine Jugend voller Energie, das BRD-Wirtschaftswunder, die Musik … Damit nehmen die 50er in der Pop-Kultur heute eine enorme Dimension ein, die überdeckt, was diese Zeit eben auch definiert hat: Enge und Engstirnigkeit, der Mangel an Verwirklichungsmöglichkeiten. Das miteinander zu kontrastieren, war für mich der Reiz beim Schreiben. Während meine Hauptfigur Marie, die in Köln Geschichte studiert, anfangs die 50er verehrt und ganz in ihrem Vintage-Stil aufgeht, stelle ich ihr auf der zweiten Erzählebene meine andere Hauptfigur Mathilde gegenüber: Eine Frau, die nicht in das enge Korsett der 50er passt und dafür einen schrecklichen Preis zahlt. Über Mathildes Schicksal liest Marie in einer ihrer Illustrierten, die für sie zum sonnigen Retro-Lifestyle gehören – bis sie erkennen muss, was dieser Frau in den 50er Jahren von den Medien angetan wurde.«

Mathilde will sich durch die strikten Konventionen der 50er nicht in ihre Schranken weisen lassen: Was fesselt Sie an dieser starken Persönlichkeit?

Viola Alvarez: »Was eine Gesellschaft nicht ist, bildet sich oft in dem ab, was von Frauen erwartet wird. Mathilde ist eine Frau, die – ohne politisch zu sein – sehr selbstbestimmte Entscheidungen trifft, um zu überleben. Und das gilt genauso vor und während des Zweiten Weltkriegs, als sie gemeinsam mit ihrer Ziehtochter Lizzy aus Düsseldorf fliehen muss, wie für die Nachkriegsjahre. Während das ganze Land scheinbar aufatmet und sich neu sortiert, will die Gesellschaft Frauen wie Mathilde in eine bestimmte Rolle (zurück-)drängen: Die stille Frau am Herd, das schmückende Beiwerk eines Mannes. Die Frage, warum jemand wie Mathilde, die sehr wohl weiß, dass sie Nachteile davon hat, oder haben könnte, trotzdem sich selbst treu bleibt, ist letztlich eine wichtige Frage menschlicher Freiheit.«

In Ihrem Roman schwingt auch Kritik mit an der Boulevardpresse und ihrem Umgang mit Frauen – warum ist Ihnen dieses Thema wichtig?

Viola Alvarez: »In der öffentlichen Darstellung eindimensional orientierter Medien (sei es Boulevard oder Social Media) liegen die Anbetung und die Zerstörung einer Person sehr nahe beieinander. Und erschreckend häufig ist es die Rezeptionsbereitschaft von Frauen, die sich gegen andere Frauen richtet. Oft geht es dabei um Vergleich, um mehr haben oder beachteter sein. Ich finde, es ist ein Thema von der politischen Dimension des scheinbar Privaten, und das stelle ich durch den Fall von Mathilde, die für ein Verbrechen verurteilt wird, das sie nicht begangen hat, ins grelle Scheinwerferlicht. Letztlich geht es darum: Mathilde hat sich nicht in das gefügt, was als Lebensentwurf von Frauen erwartet wurde, und darum ist sie bereits vor dem Prozess schuldig in den Augen der damaligen Gesellschaft.«

In Ihren vier großen Romanen EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN, EIN TAG EIN JAHR EIN LEBEN, DAS FLÜSTERN DES GLÜCKS und WAS UNS AM ENDE BLEIBT verweben Sie virtuos verschiedene Zeitebenen und Schicksale, die lange nachhallen. Wie finden Sie die richtige Balance zwischen Tragik und Zuversicht, zwischen dem Gestern und dem Heute?

Viola Alvarez: »Das Gestern erlaubt oft mehr Tragik, weil das Narrativ vollendet ist, und es uns ein gutes Gefühl gibt, zu wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist, oder dass das Leid am Ende für irgendwas gut war. Es erlaubt uns auch, den Stress des Heute zu relativieren. Uns inspirieren zu lassen von dem, was andere Menschen – vielleicht auch in unseren Familien – vor uns ausgehalten und bewältigt haben. Als Autorin muss ich die Entscheidung treffen, wann Tragik oder Leid zur Ermüdung des Lesenden führt, dass man es irgendwann gar nicht mehr co-aushalten möchte. Dann sind Elemente des ›comic relief‹ genauso wichtig wie Umdeutungen oder Bewältigungsstrategien, die aus der Person selbst kommen. Nur immer Drama macht mürbe – es braucht die Möglichkeit, etwas Neues, vorsichtig Hoffnungsvolles daraus zu machen.«

Das Gespräch führte Ronja Beck aus dem dotbooks-Lektorat.

Viola Alvarez, geboren 1971 in Lemgo, ist eine deutsche Schriftstellerin, Dozentin und Keynote-Speakerin. Heute lebt sie im Rheinland und ist Inhaberin eines Instituts für Managemententwicklung und Kommunikationspsychologie.

Die Autorin im Internet: www.viola-alvarez.de/

Die Autorin auf Instagram: viola_alvarez_romane

Viola Alvarez veröffentlichte dotbooks ihre Romane:

»Ein Flüstern zwischen den Zeiten«, »Was uns am Ende bleibt«, »Das Flüstern des Glücks«, »Ein Tag, ein Jahr, ein Leben«, »Die Zunftmeisterin«

EIN FLÜSTERN ZWISCHEN DEN ZEITEN von Viola Alvarez – überall erhältlich, wo gute eBooks angeboten werden, und natürlich auch auf unserer WEBSITE, wo die eBooks für Sie im Mobi-Format für den Kindle und als ePubs für alle anderen Lesegeräte bereitstehen.