»Wer bin ich tief in meinem Herzen?«
Ein Interview mit Silke Schütze über die Frage, wie wir in Erinnerung bleiben wollen, ein Lächeln zum richtigen Zeitpunkt und ihren bewegenden Roman DIE ERDBEERKÖNIGIN.
Liebe Silke Schütze, in DIE ERDBEERKÖNIGIN erzählst Du von Eva, die eines Tages aus ihrem geordneten Leben ausbricht, um den letzten Wunsch eines Mannes zu erfüllen, dem sie nur ein einziges Mal vor vielen Jahren begegnet ist. Was hat Dich an dieser Idee gereizt?
Silke Schütze: »Die fast magische Möglichkeit, durch die Erinnerung eines anderen Menschen in der eigenen Biografie zurückzureisen und sich dadurch selbst besser kennenzulernen, als es uns im ganz normalen Alltag gelingt. Eva fragt sich, als welche Person dieser Mann, Daniel, sie in Erinnerung behalten haben muss, mit dem sie vor einem halben Leben nur ein paar Stunden verbrachte. Sie kommt zu dem Schluss, dass Daniel Qualitäten in ihr gesehen haben muss, die sie seitdem verloren hat. Wie war sie damals, wie ist sie heute … und wann war sie glücklicher? Eva macht sich also quasi auf die Suche nach der Frau, die sie einmal war und die sie vielleicht wieder werden könnte. ›Wer bin ich tief in meinem Herzen, wie lebe ich das, und könnte ich vielleicht anders sein?‹ Diese Fragen sind auch in meinem Leben immer präsent – und finden sich wahrscheinlich deswegen in allen meinen Romanen.«
Eva soll die Trauerrede auf Daniel, diesen ihr fast unbekannten Mann halten – und taucht darum tief in sein und auch ihr Leben ein. Glaubst Du, dass es für jeden von uns manchmal eine gute Idee wäre, das eigene Leben von außen zu betrachten?
Silke Schütze: »Auf jeden Fall! Der bekannte Soziologe Harald Welzer empfiehlt sogar, einen Nachruf auf sich selbst zu schreiben, also das eigene Leben vom Ende her zu denken: Wie möchte ich einmal in Erinnerung bleiben? Woran werden meine Freundinnen und Freunde, meine Kinder und Geschwister denken, wenn mein Name fällt? Derartige Überlegungen können viel in unserem Leben ändern. Ich möchte alle, die dieses Interview nun gerade lesen, dazu einladen, sich diese Frage zu stellen: Was werden die Menschen in meinem Umfeld vermissen, wenn ich nicht mehr da bin? Worum werden sie trauern? Die meisten Menschen möchten nicht als erfolgreiche Megaverdiener, sondern als liebevolle Väter und Mütter, einfühlsame Freundinnen oder gute Freunde erinnert werden. Anderen mit Liebe und Respekt zu begegnen, wird bei solchen Überlegungen selbstverständlicher. Und davon erzähle ich auch in meinem Roman: Eva lernt viel über Daniel – aber auch über sich selbst. Viele Leserinnen und Leser haben mir geschrieben, dass genau darum DIE ERDBEERKÖNGING bei ihnen auch nach den letzten Seiten noch lange nachhallt.«
Eva begegnet den unterschiedlichsten Menschen – und ist für viele von ihnen wie ein rettender Engel. Glaubst Du, dass jeder von uns die Welt so, im Großen oder im Kleinen, verändern kann?
Silke Schütze: »Auf jeden Fall – jede und jeder von uns verändert die Welt, einfach durch seine, durch ihre Existenz. Ohne Dich oder mich, die wir dieses Interview führen, ohne Sie oder Euch, die ihr es gerade lest, würde der Welt etwas fehlen. Ich glaube nicht, dass jeder Mensch ersetzbar ist. Im Gegenteil, ich glaube, dass jeder Mensch einzigartig und unverwechselbar ist. Wir sind wichtig füreinander, und es ist eben nicht für alle gesorgt, wenn jeder an sich selbst denkt.
Jeder, der schon einmal schwierige Zeiten durchgemacht hat, jede, die schon einmal in Not, krank, allein war, weiß doch, dass die sogenannten kleinen Dingen – ein Lächeln, ein Anruf, eine Umarmung – wichtiger sind als die angeblich großen Dinge. Dabei geht es mir besonders um den täglichen Umgang, der uns vor die Entscheidung stellt, gleichgültig zu sein – oder liebevoll. Es gibt in meinem Roman eine Szene, in der Menschen eine Freude bereitet wird, mit der sie nicht gerechnet haben: Ein ›Flashmob‹ in einem Einkaufszentrum, der vielen einen Glücksmoment beschert. Ich glaube, das sind sehr besondere, im wahrsten Sinne ›verzaubernde‹ Augenblicke, sowohl für diejenigen, die sie geschenkt bekommen als auch für die, die hinter diesem Flashmob stecken.
Vergessen wir doch endlich die Ellenbogenmentalität und das ewige Ich-habe-aber-Vorfahrt! Die Welt braucht mehr ›Random Acts of Kindness‹! Mit solchen ›zufälligen Handlungen der Freundlichkeit‹ können wir alle jeden einzelnen Tag dafür sorgen, dass die Welt ein besserer Ort ist. Schlicht, indem wir anderen Menschen freundlich, offen und mit einem Lächeln begegnen, vom Hotline-Berater bis zur Kassiererin im Supermarkt, auch wenn wir ewig lange in der Schlange standen.«
Das Gespräch führte Timothy Sonderhüsken, Programmleiter dotbooks.
Silke Schütze lebt in Hamburg und Berlin. Sie hat zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht. 2008 wurde sie vom RBB und dem Literaturhaus Berlin mit dem renommierten Walter-Serner-Preis ausgezeichnet.
Silke Schütze veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane »Links und rechts vom Glück«, »Lass uns nach den Sternen greifen«, »Die Erdbeerkönigin« und »Schwimmende Väter«, die Romanbiographie »Die Sängerin von Berlin« (auch bekannt unter dem Titel »Henny Walden – Memoiren einer vergessenen Soubrette«) sowie – für alle Leser mit feinem Humor – die Familie-Hasemann-Abenteuer »Frau Hasemann feiert ein Fest«, »Herr Hasemann auf Wolke 7«, »Die Hasemanns auf großer Fahrt« und »Frau Hasemann findet das Glück«, die es auch in gesammelter Form gibt: »Eine Familie zum Verlieben«