»EINE KLEINE, ABER FEINE GESCHICHTSLEKTION«

Rebecca Michéle erklärt die historischen Hintergründe ihres Romans »Die zweite Königin«

Mit dem englischen Herrscherhaus der Tudors (Heinrich VII. 1485 – Elisabeth I. 1603) verbindet man ein brutales und blutiges Zeitalter. Menschen wurden scheinbar willkürlich und aus nichtigen Gründen hingerichtet: Heinrich VIII. ließ zwei seiner Ehefrauen enthaupten, zwei schickte er in die Verbannung; Mary I. ging unter dem Beinamen »Bloody Mary« in die Geschichte ein, ihr erklärtes Ziel war es, die Protestanten in England auszurotten, sie schickte sogar ihre erst sechzehnjährige Großcousine aufs Schafott; und Elisabeth I. forcierte die Piraterie auf den Weltmeeren.

Das klingt in der Tat nicht gerade nach einer friedlichen, ruhigen Epoche. Friedlich ging es im 16. Jahrhundert aber nirgendwo in Europa zu. Während der Zeit der Tudors wandelte sich England jedoch nachhaltig. Insbesondere unter Heinrich VIII. und Elisabeth I. trat England aus dem Mittelalter in die Neuzeit ein. Heinrich liebte die Kunst, er komponierte und schrieb regelmäßig Lieder, und es heißt, er war ein begnadeter Sänger. Der König lud zahlreiche Künstler aus Italien und Frankreich an seinen Hof, und er war der erste englische Herrscher, der prunkvolle Feste rein zum Vergnügen und ohne politische Hintergründe feierte.

Auch Heinrichs Tochter Elisabeth liebte den Prunk. Die Anzahl ihrer Kleider und Perücken war enorm. Dies alles kostete immense Summen – Geld, das die Staatskasse nicht hergab. Das riesige, bis dato nahezu unentdeckte Land jenseits des Atlantiks barg jedoch unermessliche Schätze. Noch einfacher als diese Schätze selbst zu bergen, war es, sie von den spanischen Schiffen zu kapern, die das Gold nach Europa brachten. So entstanden unter Elisabeth die ersten Piraten der Geschichte – und diese kaperten sogar mit offizieller Genehmigung ihrer Herrscherin.

Was zunächst aus finanziellen Gründen geschah, führte dazu, dass der Schiffsbau stetig an Bedeutung gewann und neue Werften gebaut wurden. Unter Elisabeth I. wurde England zur stärksten Macht auf den Weltmeeren – und hielt diesen Status bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts hinein.

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