Monaldi & Sorti im Interview
„Jeder ist die Muse des anderen“
Ein Gespräch mit Monaldi & Sorti über die IMPRIMATUR-Trilogie, die gemeinsame Recherchearbeit und ihre Suche nach der Wahrheit.
Liebe Rita, lieber Francesco, Sie haben beide als Journalisten gearbeitet – bis Sie sich kennenlernten und anfingen, für Ihren ersten Titel (IMPRIMATUR) zu recherchieren. Wann und weshalb haben Sie entschlossen, gemeinsam einen Roman zu schreiben?
Monaldi & Sorti: „Als Journalisten ist uns in Italien des Öfteren vorgekommen, diesen oder jenen Artikel nicht veröffentlichen zu können: Der Bericht störte eine Behörde, einen Politiker oder irgendeinen Prominenten. Unser Vorgesetzter wollte wohl auch Karriere machen – und nicht allzu viele Feinde haben. Wir wendeten uns also an die Vergangenheit: Dort konnte uns kein Chefredakteur sagen ‚Sorry, deine Geschichte darf nicht ans Tageslicht kommen!‘ Wir glaubten (eine nur zum Teil richtige Annahme), auf den Spuren der historischen Wahrheit gehen zu können, ohne auf unseren journalistischen Instinkt verzichten zu müssen. Noch dazu hatten wir die schillernde Figur des Atto Melani gefunden: Kastrat, Diplomat und (Doppel-)Spion, ein Freund vom Sonnenkönig, von Mazarin und den Medicis, Vertrauter von Päpsten und Kardinälen. Unser Protagonist, vor 15 Jahren nur einigen Fachleuten bekannt, war ein perfekter Ausgangspunkt.“
Haben Sie jeweils einen Schwerpunkt bzw. ein Fachgebiet?
Monaldi & Sorti: „Francesco hatte sich als Musikologe mit dem Kastraten Melani und seiner Familie jahrelang beschäftigt. Und Rita hatte sich als Philologin und Religionshistorikerin die Methodik der wissenschaftlichen Untersuchung angeeignet.“
Wenn ich so persönlich nachfragen darf: Sie sind verheiratet und arbeiten zusammen an wirklich aufwendig recherchierten Romanen – funktioniert das? Streiten Sie manchmal über den weiteren Verlauf einer / der Geschichte?
Monaldi & Sorti: „Es funktioniert super! Keiner von uns beiden könnte alleine einen Roman schreiben. Der andere muss immer mitmachen, sowohl bei den Recherchen in Archiven und Bibliotheken als auch beim Konzipieren des Plots sowie beim Schreiben. Sonst ist kein Spaß und keine Freude mehr – und daraus wird dann auch kein gutes Buch. Romantisch ausgedrückt: Jeder ist die Muse des anderen. Wir haben immer unsere (manchmal ziemlich verwickelten) Geschichten beim Spazierengehen mit unseren Kindern – z.B. im Wienerwald auf dem Weg zu irgendeinem Gasthaus, oder in Roms kleinen Gässchen zwischen Vatikan und Piazza Navona – aufgebaut. Einer hielt in den Händen einen Heft und machte Notizen zu den neuen Ideen, der andere schob den Kinderwagen – oder viceversa.“
Das klingt sehr harmonisch …!
Monaldi & Sorti: „Gestritten (aber in milder Form!) haben wir nur am Anfang. Das war teilweise auch lustig. Francesco hatte lange in einer Wochenzeitung für Wirtschaft und Finanzen gearbeitet. Das Umsteigen von trockener Berichterstattung auf einen ‚literarischen‘ Stil war nicht einfach! Auf Ratschlag von Rita unterzog sich Francesco einer strengen Therapie: die Lektüre der 7 Bände von Marcel Prousts ‚Suche nach der verlorenen Zeit‘ (Rita hatte sie schon in ihrer Jugend gelesen). Am Ende der Therapie, nach etwa 3 Jahren, geschah eine lustige, freudianische Episode: Francesco träumte, Proust zu sein, und einige Wolken im Himmel in raffiniertem, proustianischem Stil zu beschreiben! Da war das Eis gebrochen: Francescos Prosa hat endlich ‚geatmet‘! Natürlich sind inzwischen die Tonnen an Romanen, Essays, Archivalien und Manuskripten aus dem XVII. Jahrhundert dazugekommen, die wir für unsere Recherchen lesen mussten … Wir leben einfach in einer anderen Epoche. Zu Hause kein Fernsehen, keine Zeitungen, kein Hörfunk – nur Bücher und barocke Musik. Wir sind dem lieben Herrgott sehr dankbar, dieses Glück zu haben.“
Ein Leben für den Barock! Und auch in der IMPRIMATUR-Trilogie befinden wir uns im 17. Jahrhundert. Haben Sie sich darauf festgelegt?
Monaldi & Sorti: „Uns faszinieren derzeit die letzten Jahrzehnte des XIX. Jahrhunderts, in denen die Modernität – schnelle Transporte, unüberschaubare internationale Finanz, Skandale der Bauspekulation und als Krönung die ‚Purifikation‘ des Krieges –, die nach der französischen Revolution entstanden ist, ihr wenig glorreiches Gesicht gezeigt hat.“
Die meisten Ihrer Figuren sind historisch verbrieft. Wie viel Fiktion steckt in Ihren Werken?
Monaldi & Sorti: „Wenig Fiktion – und zugleich viel. Wenig Fiktion, weil die Rekonstruktion von Ortschaften, Gewohnheiten der Hauptfiguren, ihre Gebräuche, die Einrichtung ihrer Wohnungen oder ihr Vermögen bis ins kleinste Detail (auf Basis von Testamenten, Privatbriefen, Porträts o.ä.) wiedergegeben sind. Und viel Fiktion, weil die unvermeidlichen Lücken zwischen den historischen Ereignissen und das Vorhandensein von unzähligen Rätseln in der ‚offiziellen‘ Geschichtsschreibung einem Autor unglaublich viel Spielraum lassen. Für uns bedeutet Schriftstellerei nicht nur vage Träume über ein schönen ‚Anderswo‘, sondern auch die Aufgabe, die Leser auf eine Reise uns an Bord mitzunehmen – eine Reise, auf der wir nach der Wahrheit suchen.“
Bereits mit Ihrem Debüt IMPRIMATUR haben Sie Aufsehen erregt. Darin lüften Sie ein Geheimnis um Papst Innozenz XI. Daraufhin machte der Vatikan all seine Macht geltend und sorgte dafür, dass Ihr italienischer Verlag das Werk nicht weiter vertreibt. Was ging in dem Moment in Ihnen vor?
Monaldi & Sorti: „Die Geschichte von IMPRIMATUR und von Papst Innozenz XI. wird seit 13 Jahren immer wieder von den Medien wiederholt und als Autoren möchten wir nicht nur damit identifiziert werden. In unserem eigenen Land und unserer Muttersprache nicht veröffentlicht zu werden war für uns ein sehr bitteres Erlebnis. Auf der anderen Seite haben wir in unserem ‚literarischen Exil‘ ein starkes Gefühl der Sicherheit! Italien ist ein wunderschönes Land, das wir sehr lieben, aber manchmal ist es auch ein sehr unwirtliches – vor allem gegenüber den Italienern! Nicht zufällig ist in den letzten Jahren die Auswanderung aus Italien in andere EU-Länder enorm angestiegen. Wir kennen keine anderen europäischen Autoren, die in 26 Sprachen übersetzt wurden, aber nicht in ihrer Muttersprache veröffentlichen können. In diesem Sinne war unsere anfängliche Hoffnung, in Italien als Buchautoren mehr Freiheit als Journalisten zu haben (siehe Antwort auf die Eingangsfrage) ganz unzutreffend.“