Verlagsgeschichten: Karteileiche

26. Juli 2017
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Blog Illustration für VerlagsgeschichtenUnser Programmleiter Timothy Sonderhüsken arbeitet seit 1991 in der Verlagsbranche – und hat darum schon einiges erlebt. Was er besonders an seinem Job liebt? Das immer noch jeder Tag eine Überraschung für ihn bereit hält. So wie diese hier …

 

Das Telefon klingt – ausnahmsweise mal zuhause, nämlich gestern Abend.

Dame (ohne Punkt und Komma redend): „Guten-Tag-hier-ist-Frau-N-von-der-Agentur-Z.“ Halbe Sekunde Atempause. Dann in ähnlichem Tempo: „Ich rufe an wegen unserem Film X, es wäre super, wenn Sie den in Ihrem Stadtmagazin XY vorstellen würden.“
Ich: „In der XY? Sie meinen der XY aus Düsseldorf?“

Dame: „Ja, und wir haben da jetzt eine Pressevorführung und das ist doch eine super Gelegenheit für Sie, weil …“
Ich: „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber die XY gibt es seit mindestens 20 Jahren nicht mehr.“
Dame: „Wie bitte?“ Ich höre, wie etwas getippt wird, sie schaut wohl etwas in ihrer Datenbank nach. „Das kann nicht sein, Sie sind 2010 als neuer Kontakt bei uns angelegt worden.“
Ich: „Das mag ja sein, aber das ändert nun nichts an den Tatsachen.“
Dame: „Ach so. Ja, hmmm. Wollen Sie denn trotzdem über unseren Film berichten?“
Ich: „Tut mir wirklich leid, aber ich arbeite seit vielen Jahren nicht mehr frei.“
Dame: „Hmmm. Tja.“ Kurze Pause, dann: „Aber dann kommen Sie doch trotzdem einfach mal zu unserer Pressevorführung, vielleicht ergibt sich ja etwas anderes.“
Ich: „Und diese Pressevorführung ist wo?“
Dame: „Na, in Düsseldorf natürlich.“
Ich: „Da wohne ich seit 22 Jahren nicht mehr.“
Dame: „Naja, wo ein Wille ist, da ist ein Weg, Sie wohnen jetzt in …?“
Ich: „München.“
Dame: „Hmmm. Also, dann sind Sie eindeutig eine Karteileiche.“
Ich: „Aber eine nette, hoffe ich.“

Wir mussten dann beide lachen.